„Breites Feld an Aufgaben bewältigt“

Stefanie Stoff-Ahnis, Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbandes
Die Selbstverwaltung hat während der Corona-Pandemie ihre Stärke bewiesen, meint Stefanie Stoff-Ahnis. Wie eine sichere Versorgung gelingen konnte und wo im Zusammenspiel der einzelnen Akteure noch Nachbesserungsbedarf besteht, erläutert das Vorstandsmitglied des GKV-Spitzenverbandes.
 
Frau Stoff-Ahnis, seit einem Jahr sind Sie Vorstandsmitglied beim GKV-Spitzenverband – eine persönliche Bilanz?
In den vergangenen zwölf Monaten ist viel passiert, der Gesetzgeber war sehr aktiv und dann kam Corona. In der Beurteilung der Vorhaben ist es für mich von großem Vorteil, dass ich das operative Krankenkassengeschäft und die konkrete Versorgungspraxis bereits kenne und nun durch die Verbandsperspektive auf Bundesebene ergänze. Beide Blickwinkel so weit wie möglich zu bewahren, habe ich mir fest vorgenommen. Und dabei arbeite ich dafür, die Versorgung der 73 Millionen gesetzlich Versicherten weiter zu verbessern – was für eine tolle Aufgabe.
 
Das Gesundheitswesen ist seit Monaten gänzlich von der Corona-Krise beherrscht. Hat es sich in der Krise bewährt?
Ein klares Ja. Und auch die Selbstverwaltung hat den ganz außergewöhnlichen Härtetest bestanden.
 
Inwiefern?
In Krisenzeiten braucht es schnelle und pragmatische Lösungen. Es hat sich gezeigt, wie wertvoll die Zusammenarbeit der beteiligten Gruppen des Gesundheitswesens ist. Im Handumdrehen wurden konkrete Lösungen für komplizierte Sachverhalte gefunden, die in der Pandemie umgehend geregelt werden mussten.
 
Was würden Sie hier besonders hervorheben?
Die vordringlichste Aufgabe war, in der Krise die Infrastruktur im Gesundheitswesen so zu stärken, dass im schlimmsten Fall deutlich mehr Infizierte in kritischem Zustand hätten behandelt werden können. Es ging darum, die Kapazität an Intensivbetten auszubauen und gleichzeitig Mediziner und Pfleger vor Ort so auszustatten, dass sie ungefährdet ihre Arbeit machen können. Wir haben den Krankenhäusern, Vertragsärzten und Therapeuten die Liquidität verschafft, die sie dazu brauchten. Zum Zweiten haben wir mit den Leistungserbringerverbänden pragmatische Lösungen gefunden, um in der ambulanten Versorgung möglichst direkte Kontakte zu vermeiden – sprich es wurden Ausnahmeregelungen für Videosprechstunden mit Ärzten oder Videokurse mit Hebammen und Heilmittelerbringern geschaffen. In Zusammenarbeit mit dem Gemeinsamen Bundesausschuss ging es um die Verabschiedung einer Reihe von befristeten Sonderregelungen, um Krankschreibungen per Telefon zu ermöglichen oder Krankentransporte ohne vorherige Genehmigung durch die Kassen sicherzustellen. Auch den Arbeitgebern haben wir Liquidität verschafft, indem wir mit anderen Sozialversicherungsträgern in Verhandlungen getreten sind und die Stundung der Beiträge erleichtert haben. Es war ein breites Feld an Aufgaben zu bewältigen. Und das ist gelungen.
 
Die Coronakrise erfordert schnelle Lösungen
In der öffentlichen Wahrnehmung spielte aber vor allem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine Rolle. Er hat das Gesundheitswesen stark an sich gerissen. War das gut?
In Ausnahmesituationen wie diesen ist die Exekutive gefragt. Und doch hätte ich es natürlich sinnvoll gefunden, wenn er die Selbstverwaltung noch mehr miteinbezogen hätte. So wären einige Unschärfen von gesetzlichen Regelungen, die über Rechtsverordnungen ergangen sind, vermeidbar gewesen.
 
Die da wären?
Eindeutigere Formulierungen im Schutzschirm, für niedergelassene Ärzte zum Beispiel, würden heute zu weniger Problemen in den regionalen Verhandlungen zur Honorarverteilung führen. Als suboptimal betrachten wir in der Selbstverwaltung auch, dass generell in allen Krankenhäusern Betten leer geräumt wurden, um Reservekapazitäten für Covid-19-Patienten zu schaffen. Das hätten wir anders gelöst, indem entsprechende Kapazitäten konzentriert in bestimmten, besonders geeigneten Kliniken geschaffen werden. Und zuletzt ist für den GKV-Spitzenverband nicht nachvollziehbar, dass speziell in der Krise die gerade erst geschaffenen Pflegepersonaluntergrenzen komplett ausgesetzt wurden. Die Folge ist, dass es derzeit überhaupt keine Transparenz mehr über die Pflegesituation in Kliniken gibt.
 
Ein zurzeit häufig diskutierter Moment ist auch, dass die Beitragszahler der GKV generell für die Kosten von Corona-Testungen und die Vorhaltung von Intensivpflegebetten in den Krankenhäusern zahlen und die PKV daran nicht beteiligt wird. Wie stehen Sie dazu?
Ordnungspolitisch ist das nicht richtig. Wir haben in dem Prozess von Anbeginn darauf hingewiesen, dass wir hier eine angemessene Beteiligung auch von der PKV einfordern. Der Punkt ist zurzeit noch nicht gelöst, aber das wird noch zu diskutieren sein. Und bei den Corona-Massentests muss man ganz klar sagen, dass diese staatliche Maßnahme der Pandemiebekämpfung auch vom Staat und nicht von den Beitragszahlern der gesetzlichen Krankenkassen zu bezahlen ist.
 
Umstritten: Die Bezahlung von Corona-Testungen erfolgt aus dem Gesundheitsfond
Jens Spahn hat die Kliniken in der Krise mit sehr viel Geld versorgt. Wie beurteilen Sie die Gefahr, dass dadurch erneut Strukturen subventioniert werden, die nicht wettbewerbsfähig sind, und die Diskussion über die notwendige Krankenhausstrukturreform konterkariert wird?
In der Tat könnte die sogenannte Leerbettenpauschale strukturkonservierend wirken. Hier wird für leere Betten gezahlt, unabhängig davon, ob die Kliniken tatsächlich von der Pandemie betroffen sind. Im Übrigen werden Pauschalbeträge ausgezahlt, die zum Teil höher liegen als die Tagessätze der Kliniken. Auch fehlt für den Umgang mit den neu aufgebauten Intensivkapazitäten derzeit noch ein Konzept.
 
Was bedeutet das für die Zukunft?
Die Forderung nach einer Krankenhausstrukturreform bleibt aktuell und lässt sich – gerade aus der Erfahrung mit der Pandemie – jetzt mit klugen Konzepten und Strategien für den Katastrophenschutz verbinden. Zentrale, spezialisierte Einheiten wären aus unserer Sicht besser geeignet, die Versorgung generell zu verbessern und noch gezielter in Krisenlagen wie diesen reagieren zu können.
 
Abschließend: Welche Chancen lassen sich aus der Krise ableiten?
Vorausschicken möchte ich zunächst, dass nicht die Vielzahl der Kliniken Deutschland vor einer Katastrophe gerettet hat, sondern vielmehr die drastischen epidemiologischen Maßnahmen. Und ein weiterer Vorteil lag darin, dass der Großteil der Corona-Patienten auch ambulant versorgt werden konnte. Für die Versorgung im Allgemeinen ist heute und in Zukunft wichtig, dass schnell verlässliche Informationen zur Verfügung stehen. Als sehr hilfreich hat sich in der Krise beispielsweise das DIVI Intensivregister herausgestellt. Das Register erfasst tagesaktuell die Versorgungskapazitäten und Fallzahlen im intensivmedizinischen Bereich, sodass Patienten besser gesteuert werden können. Ähnliche Instrumente können wir uns auch für weitere Leistungsbereiche vorstellen, um die Qualität in der Krankenhausversorgung in Deutschland weiterentwickeln zu können. Generell hat die Krise der Digitalisierung einen Schub verliehen. In Hinblick auf Kommunikation, Steuerung von Prozessen und die Leistungsabwicklung im stationären wie ambulanten Bereich kommt digitalen Anwendungen eine Schlüsselfunktion zu. Die Frage lautet: Wie vernetzen wir die Beteiligten in der Gesundheitsversorgung sektorübergreifend, aufwandsarm und schnell? Hierin liegen große Chancen, die Versorgung für die Menschen deutlich zu verbessern.
 
 
Zur Person
Die Rechtswissenschaftlerin Stefanie Stoff-Ahnis ist seit Mitte 2019 Mitglied im Vorstand des GKV-Spitzenverbandes, der zentralen Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen in Deutschland. Von 2006 bis 2019 war Stoff-Ahnis bei der AOK Nordost tätig – zunächst in leitender Tätigkeit im Bereich Hilfsmittel und sonstige Leistungserbringer, später als Mitglied der Geschäftsleitung im Ressort Versorgung.