Ganz schnell nach Hause

Knut Schubarth, stellvertretender Unternehmensbereichsleiter Prozesse und Informationstechnik bei der AOK Rheinland/Hamburg
Innerhalb eines halben Jahres hat ein Virus unsere ganze Welt verändert. Vor allem die Arbeitswelt sieht heute ganz anders aus. Viele Unternehmen leiden, nicht wenige profitieren auch und manche haben sich schnell angepasst – wie zum Beispiel die AOK Rheinland/Hamburg. Die großen Gewinner sind auf jeden Fall Homeoffice und die Digitalisierung im Allgemeinen. Knut Schubarth, Stellvertretender Unternehmensbereichsleiter Prozesse und Informationstechnik bei der AOK Rheinland/Hamburg, erklärt, warum.
 
Die Arbeitswelt ist nicht mehr das, was sie mal war. Was hat sich bei der AOK Rheinland/Hamburg durch Corona verändert?
Alles fing bei uns mit ersten Hygienemaßnahmen an, dann haben wir einen Pandemieplan aufgestellt und zum Beispiel Präsenzveranstaltungen eingestellt. Und wir haben natürlich unter Hochdruck einen großen Anteil unserer Mitarbeiter ins Homeoffice gebracht.
 
Wie viele Mitarbeiter sind im Homeoffice?
Wir haben rund 7.500 Mitarbeiter und alle können technisch im Homeoffice arbeiten. In der Corona-Hochphase haben jeweils zwei Drittel im Homeoffice und ein Drittel der Mitarbeiter in ihrer Organisationseinheit gearbeitet, das Ganze im wöchentlichen Wechsel. Wir im IT-Bereich waren teilweise fast 100 Prozent im Homeoffice. Nur wenige Mitarbeiter waren vor Ort, aber auch nicht die ganze Woche.
 
Wie hat die Umstellung so schnell funktioniert?
Die Beschaffungs- und Entscheidungsprozesse dahinter wären vor der Pandemie undenkbar gewesen. Innerhalb von wenigen Wochen wurden die Rahmenbedingungen geschaffen, wie zum Beispiel die Versorgung der Mitarbeiter mit Software-Token über das Smartphone. Denn im Homeoffice arbeiten die Mitarbeiter mit den eigenen Rechnern und Notebooks.
 
Durch Corona waren die meisten Mitarbeiter im Homeoffice
Wie funktioniert das genau?
Wir hatten früher Hardware-Token, um uns über einen VPN-Tunnel anzumelden (Zugang zu dem Geschäfts- und Arbeitsbereich). Aber diese Hardware-Token wollten wir nicht mehr nutzen, weil wir dann Token in hoher Anzahl hätten physisch ausliefern müssen. Wir wollten Software-Token einführen, die per App auf den Smartphones funktionieren.
 
Aber?
Unser IT-Dienstleister, die gkv informatik, hatte im ersten Quartal dieses Jahres das Rechenzentrum zur T-Systems in Frankfurt verlagert. Bevor wir den Wechsel der Token vollziehen konnten, kam Corona. Gemeinschaftlich mussten wir den Rechenzentrumsumzug und gleichzeitig die technischen Rahmenbedingungen für das Homeoffice meistern. Unsere IT-Kollegen haben die Mitarbeiter hervorragend dabei unterstützt, mit ihren privaten Rechnern im Homeoffice arbeitsfähig zu werden.
 
Wie funktioniert das genau?
Mit dem Software-Token auf dem Smartphone kann ich mich mit meinem privaten Rechner über den VPN-Tunnel auf der Arbeits-, der Citrix-Oberfläche, einloggen. Das ist absolut sicher, denn meine Arbeitsumgebung ist von der lokalen Umgebung isoliert. Das Übertragen von Daten ist so nicht möglich. Ausdrucke können im Homeoffice auf den privaten Druckern nicht erzeugt werden. Zunächst druckten die Mitarbeiter, die in den Organisationseinheiten verblieben waren, die Drucke für alle vor Ort aus. Wir haben das „vertrauliche Drucken“ eingeführt. Dabei startet der Türeingangs-Chip den Drucker. Der Druckvorgang konnte also beliebig gestartet werden, wenn man wieder in der Organisationseinheit war, beziehungsweise man konnte den Druck an andere Mitarbeiter technisch delegieren.
 
Jetzt drehen wir die Uhr einmal zurück auf Oktober 2019. Wäre es damals denkbar gewesen, dass Homeoffice so gut funktioniert?
Für uns in der IT schon. Wir sind vor etwa drei Jahren aus dem Kölner Raum nach Düsseldorf gezogen. Wir wollten damals die Mitarbeiter, für die der Standort Köln wichtig war, durch den Umzug nach Düsseldorf nicht verlieren und haben zur Reduzierung der wöchentlichen Pendelzeit das Projekt Homeoffice gestartet. Für uns war von Anfang an klar: Homeoffice auf freiwilliger Basis und wir wollen keine Firmen-Devices ausgeben. Im Oktober 2019 hatten wir unternehmensweit etwa sieben Prozent der Mitarbeiter im Homeoffice. Das war noch eine relativ geringe Zahl. Unser Vorstand wollte perspektivisch etwa 20 Prozent Homeoffice-Quote erreichen. Dass wir dann so schnell die technische Homeoffice-Fähigkeit für alle Mitarbeiter einrichten konnten, war im Oktober 2019 nicht denkbar.
 
Also Glück gehabt, dass es so ein Projekt gab.
Wir hatten an einigen Stellen Glück beziehungsweise das richtige Timing gehabt. Vor drei Jahren haben wir ein weiteres Projekt zur Digitalisierung der Eingangspost gestartet. Nur deswegen waren wir überhaupt in der Lage, Homeoffice für alle Mitarbeiter anzubieten. Die Mitarbeiter erhalten ihre Eingangspost digital, daher ist es egal, wo der Mitarbeiter sitzt.
 
Und Homeoffice funktioniert, oder?
Ja, es funktioniert. Wir bekommen durchweg positive Resonanz, auch von Einheiten, die vorher überhaupt nicht daran gedacht hatten, ins Homeoffice zu gehen. In der Pandemie steckt ja auch eine große Chance: einfach mal machen.
 
Was schätzen die Mitarbeiter besonders an der neuen Arbeitsform?
Die Zeitersparnis durch weniger Pendeln und die höhere Flexibilität in der Gestaltung des Arbeitstages. Die Mitarbeiter fühlen sich dadurch entspannter, was sich positiv auf die Arbeitsleistung auswirkt.
 
Und profitiert das Unternehmen auch davon?
Das Unternehmen hat zufriedene Mitarbeiter und es wirkt sich langfristig positiv auf die benötigten Büroflächen und Arbeitsplätze aus. Seit einiger Zeit organisieren wir unser Unternehmen neu um. In unserem Programm „AOK 4.0 – Die Weiterentwicklung“ schaffen wir neue Arbeitswelten, die unsere Vorstellungen von unserer Arbeitswelt der Zukunft und unserer Kommunikation zum Kunden optimieren.
 
Corona verändert das Leben nachhaltig digital
Das heißt, auch nach Corona kommen die Mitarbeiter nicht mehr fünf Tage ins Büro, sondern arbeiten zwei oder drei Tage im Homeoffice?
Wahrscheinlich. Es existiert bei der AOK Rheinland/Hamburg seit circa drei Jahren eine Dienstvereinbarung für Homeoffice. Wir haben in unserem Unternehmensbereich Prozesse und Informationstechnik die interne Regelung getroffen: Jeder Mitarbeiter kann zwei Tage Homeoffice machen, bei besonderen Bedingungen auch drei Tage. In der Corona-Hochphase wurde diese Regelung angepasst. Wie sich das unternehmensweit entwickeln wird, werden die nächsten Monate zeigen.
 
Kann man jetzt schon sagen, was die Lehren aus Corona für die Arbeitsorganisation sind?
Mehr Vertrauen in die Mitarbeiter. Das muss ich haben, wenn ich als Führungskraft meine Mitarbeiter im Homeoffice führen möchte. Und auch mal etwas wagen, ohne dass man es vorher zu 100 Prozent ausgetestet und ausgeplant hat. Wenn es nicht klappt, wird nachjustiert – oder abgehakt und ein neuer Versuch unternommen.
 
Auch der Kontakt mit den Kunden musste anders organisiert werden: Wie hat das geklappt?
Wir haben versucht, so lange als möglich unsere Geschäftsstellen für unsere Kunden offen zu halten beziehungsweise die Besuche vor Ort auf das Notwendigste zu beschränken. Wir haben unseren Kunden andere Kommunikationskanäle angeboten, die ihnen ermöglichten, ihr Anliegen online oder telefonisch zu erledigen. Durch Chat-Funktionen, durch Telefonie, auch durch Termine vor Ort mit Online-Terminabsprachen hat das alles gut funktioniert.
 
Hatten Sie auch eine Videotelefonie für Kunden angeboten?
Derzeit lässt unsere technische Infrastruktur in den Einheiten mit Kundenkontakt dies noch nicht zu. Im Rahmen unseres Programms „AOK 4.0 – Die Weiterentwicklung“ sind die Möglichkeiten der Videotelefonie mit unseren Kunden fest eingeplant. In unserem Servicecenter Clarimedis, die sozialversicherungsrechtliche und medizinische Inbound-Telefonie, haben wir ein Pilotprojekt mit Videoarztterminen für unsere Kunden eingerichtet. In unserem Servicecenter Kundenmanagement setzen wir eine Technik ein, mit der wir Kunden in einer Art Co-Browsing Formulare zusenden können.
 
Wie unterschreibt der Kunde?
Der Kunde erhält einen Weblink auf das Formular, füllt dieses aus und unterschreibt digital. Es ist eine technische Lösung, die er auf seinem Tablet oder seinem Smartphone nutzen kann. Unterschreiben kann er auf seinem Tablet. Das funktioniert gut und kommt bei den Kunden auch sehr gut an.
 
Ohne oscare® würde die AOK deutlich schlechter dastehen. Kann man das so sagen?
In den vergangenen Jahren wurde in der Belegschaft viel über oscare® geschimpft. Aber das ist normal, über Veränderungen wird gerne geschimpft. Für mich war das immer ein gutes System, das im Laufe der Zeit mehr und mehr auf die Bedürfnisse seiner Kunden ausgerichtet wurde. Die Digitalisierung des Posteingangs oder die APD-Prozesse und zahlreiche weitere Prozesse wären ohne oscare® nicht denkbar. Im Austausch mit anderen Unternehmen stelle ich oft fest: Wir haben ein sehr gutes System und sind erheblich weiter als viele vergleichbare Unternehmen.
 
Was bedeutet diese Krise langfristig für die Digitalisierung des Gesundheitswesens?
Corona hat gezeigt, dass Prozesse erheblich beschleunigt werden können, wenn alle Beteiligten sich einig sind. Dies hat die Digitalisierung und viele Entscheidungen diesbezüglich erheblich vorangebracht.
 
Zur Person:
Das Tempo in Richtung Digitalisierung ist deutlich angezogen
Knut Schubarth ist seit 1982 bei der AOK Rheinland/Hamburg tätig. Er war an allen oscare®-Einführungen der AOK Rheinland/Hamburg in verschiedenen Rollen direkt oder indirekt beteiligt. Seit 2011 ist er als stellvertretender Unternehmensbereichsleiter „Prozesse und Informationstechnik“ tätig. Er ist verheiratet, hat vier Kinder und fährt leidenschaftlich gern Mountainbike.