Arzneimittel per App

Bald gibt es das: ein papierloses Rezept
Das E-Rezept soll kommen. Es ist eines der digitalen Projekte, das Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mit Druck vorantreibt. Spätestens Mitte des Jahres soll es in allen Apotheken einlösbar sein. In verschiedenen Modellprojekten wird es nun getestet. Nordeuropa ist uns beim E-Rezept weit voraus. In Finnland sind 100 Prozent der Rezepte digital, in Estland 99 und in Schweden oder Norwegen geht nur noch wenig Papier über den Tresen. Auch in südeuropäischen Ländern wie etwa Portugal ist das E-Rezept längst im Einsatz. Dort können sogar Esten E-Rezepte aus ihrer Heimat einlösen. Jens Spahn hat sich auf die Fahne geschrieben, das deutsche Gesundheitswesen mit Hochdruck zu digitalisieren. Neben der ePA liegt der Fokus derzeit auf dem E-Rezept. Die gematik wird seit dem Sommer 2019 zu 51 Prozent durch das BMG kontrolliert. Und ihr kommt eine zentrale Rolle bei der Einführung des E-Rezepts zu. „Die elektronische Patientenakte wird das Absprungbrett für alle weiteren wichtigen Digitalisierungsschritte sein. Es ist aber auch das Projekt mit der höchsten Komplexität. Die größte Auswirkung hingegen wird das elektronische Rezept haben – einfach, weil es gesetzlich und privat Versicherte betrifft. Und weil es mit 1,3 Millionen Rezepten pro Tag viele Berührungspunkte geben wird“, erklärte gematik-Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken im Interview mit der sysTEMATIC-Redaktion.
 
In Sachen Digital-Health-Index muß Deutschland aufholen
Das Ende des Zettelkastens
Mit dem E-Rezept soll die Zettelwirtschaft im Gesundheitswesen ein Ende haben. Das E-Rezept soll das klassische Rezept auf Papier jedoch nicht vollständig ablösen: Wer will, kann auch weiterhin das Papierrezept erhalten. Das E-Rezept soll außerdem weitere neue digitale Anwendungen ermöglichen – von der Medikationserinnerung bis hin zum Medikationsplan mit eingebautem Wechselwirkungscheck. So kann einfach überprüft werden, ob alle Arzneimittel untereinander verträglich sind. In Schweden gibt es eine App, die kettenunabhängig funktioniert und Infos zu allen Apotheken liefert. Damit können Patienten die nächstgelegene Apotheke suchen, E-Rezepte einreichen, Vorbestellungen aufgeben und sogar Lagerbestände einsehen. Grundlage des E-Rezepts hierzulande ist das „Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV)“, das am 16. August 2019 in Kraft getreten ist. Danach haben die Spitzenorganisationen im Gesundheitswesen sieben Monate Zeit, die notwendigen Grundlagen für die Verwendung des elektronischen Rezeptes zu schaffen. Neben einer Erprobung im Rahmen von Modellprojekten werden bis zum 30. Juni die technischen Spezifikationen erarbeitet. Ende September 2020 müssen dann alle Apotheken an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein.
 
Vorbehalte von Ärzten und Apotheken
„Das E-Rezept ist im Arzneimittelbereich überfällig, denn erst hierdurch werden die Versicherten einen ersten Nutzen der eGK erleben können. Für die Krankenkassen ist die Einführung besonders wichtig, da sie in den Arztpraxen die Voraussetzung dafür schafft, dass weitere elektronische Verordnungstypen zur Umsetzung kommen. Erst diese werden deutliche Mehrwerte für die Kostenträger bringen, da sowohl mit einer besseren Datenqualität wie auch einer Beschleunigung der Versorgung zu rechnen ist“, erklärt Michael Baumgärtner, Produktmanager „Digitalisierung, Online- und Dokumentenservices“ bei der AOK Systems. Viele Ärzte sehen das E-Rezept noch kritisch, da sie einen höheren Verwaltungsaufwand befürchten. Jedes Rezept muss digital signiert werden – und dies würde pro Rezept zwanzig Sekunden dauern. Sicher keine realistische Zeitspanne, wenn die digitalen Prozesse erst mal zum Laufen gebracht sind. Skepsis herrscht bei den Ärzten aber auch, da sie mit dem Einzug des digitalen Rezeptes auch gleichzeitig den großflächigen Einsatz von Videosprechstunden befürchten. Natürlich ist die Einführung von Videosprechstunden ein weiterer logischer Schritt – und außerdem auch Bestandteil des GSAV. Doc Morris hat Anfang Dezember darüber hinaus bekannt gegeben, mit der schwedischen Online-Arztpraxis Kry in Deutschland ein digitales Versorgungsmodell zu starten. Per App können Patienten mit deutschen Ärzten sprechen – diese können sie dann sowohl krankschreiben als auch ein Rezept ausstellen. Noch skeptischer waren bisher die Apotheker – und wieder spielt Doc Morris eine gewichtige Rolle. Die niedergelassenen Apotheken befürchten nämlich, dass ihnen die Online-Apotheken mit dem E-Rezept ihre Umsätze abnehmen. In der Tat wittert Doc Morris hier große Chancen und spricht davon, seinen Umsatz durch das E-Rezept von einem auf zehn Prozent steigern zu können. In einer bundesweiten Werbekampagne verkündet Doc Morris bereits: „Das E-Rezept kommt.“ Und erst kürzlich hat Doc Morris eine E-Rezept-Kooperation mit Hausärzten in Westfalen-Lippe geschlossen.
 
Gerda macht den Anfang
 
Arztbehandlung und Rezepteinlösung bald bequem zu Hause
Angeblich sollen bald 52 Modellprojekte bundesweit am Start sein – diese Zahl hat Dr. Markus Leyck Dieken in den Raum geworfen. Auf Nachfrage bestätigt er aber auch, dass es weder beim BMG noch bei der gematik eine systematische Erfassung dieser Projekte gäbe. Den Anfang macht Gerda: Das Modellprojekt „Geschützter E-Rezept-Dienst der Apotheken“ startete Anfang November in der Region Stuttgart und im Landkreis Tuttlingen. Die teilnehmenden Patienten müssen aus dieser Region stammen. Neben dem E-Rezept bietet Gerda auch die Möglichkeit, sich telemedizinisch behandeln zu lassen. Realisiert wird das Projekt von der telemedizinischen Behandlungsplattform „docdirekt“ und der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Registrierte Patienten können sich mithilfe einer speziellen App behandeln lassen sowie Rezepte einlösen. Die App fungiert dabei als der sichere Rezeptspeicher, auf den der Arzt, die Apotheke und der Patient Zugriff haben. Das Land Baden-Württemberg unterstützt das Projekt, gerade in Hinblick auf die medizinische Versorgung im ländlichen Raum, mit rund einer Million Euro.
 
Berlin ist eine wichtige Modellregion
Anfang des Jahres soll auch ein weiteres Modell starten, auf dem aus verschiedenen Gründen ein besonderer Fokus liegt. Jens Spahn hat Berlin und sein Umland bereits bei seinem Amtsantritt als Modellregion für neue digitale Anwendungen auserkoren. Und hier startet bald ein Modellprojekt des Berliner Apotheken-Vereins in Kooperation mit dem Deutschen Apothekerverband (DAV). Das BMG fördert das Projekt im Rahmen der „Zukunftsregion Digitale Gesundheit“. Interessant ist dies auch deshalb, weil hier zum ersten Mal die Web-App des DAV zum Einsatz kommt. Die App hatte schon nach wenigen Monaten mehr als 11.000 registrierte Apotheken vorzuweisen. Für die Apotheken geht es dabei um viel. Denn sie fordern von der Politik eine Monopolstellung für ihre App und argumentieren damit, dass das E-Rezept ein gesetzlich zu schützender Raum sei und rein finanzielle Interessen – gemeint sind hier Doc Morris und Co. – keine Rolle spielen dürfen. Die DAV hofft darauf, exklusiv staatliche Aufgaben übertragen zu bekommen. Diese Argumentation dürfte die Politik aber wohl kaum überzeugen, da es auch für die Apotheken, die über den DAV organisiert sind, primär um ihren Umsatz geht. Außerdem hat das Ministerium schon deutlich gemacht, dass es im Sinne des Wettbewerbs und auch im Interesse der Patienten gut wäre, wenn es mehrere IT-Lösungen für das E-Rezept gäbe.