Aus zwei wird eins

Als erste Gesundheitskasse hat die AOK Rheinland/Hamburg die durch die Fusion entstandenen getrennten Bestände erfolgreich zusammengeführt. Das bedeutet nicht nur eine deutliche Arbeitserleichterung für alle Mitarbeiter. AOK Systems, AOK und Rechenzentrum haben damit ein komplexes Vorhaben in Rekordzeit umgesetzt, bei dem alleine im Leistungsbereich 30 Mrd. Datensätze im BW-System zusammengeführt wurden.

Vor einigen Jahren sind Gesundheitskassen juristisch fusioniert. Seitdem gibt es getrennte Datenbestände. Die AOK Rheinland/Hamburg hatte einen Bestand Rheinland und einen Bestand Hamburg, die auch nach der Fusion zunächst getrennt voneinander gehalten und bearbeitet wurden. Mittels der AOK Systems Software oscare® ÜGP, dem Übergreifenden Geschäftspartner, gab es dennoch eine zentrale Suchmaske, die dem Mitarbeiter in der Kasse eine Gesamtsicht auf beide Bestände ermöglichte und auch etwaige doppelte Datenbestände anzeigte.

Diese Datenhaltung war wartungsaufwändig, da zum einen zwei Systeme hardwareseitig zu betreuen waren. Zum anderen mussten zwei Systeme mit identischer Software versorgt und das Customizing gleich eingestellt werden. „Ein großes Problem sind aber vor allem die Dubletten von Bestandswechslern über den Zeitverlauf. Wenn jemand früher in Hamburg gewohnt hat und bei der AOK Rheinland/Hamburg versichert war, später in das Rheinland umzieht und nun durch eine Meldung vom Arbeitgeber im rheinischen Bestand erfasst wird“, erläutert Thorsten Heuer, Projektleiter KaZu bei der AOK Rheinland/Hamburg. „Dann habe ich Daten zu einem Versicherten in zwei Beständen und bekomme es nicht mehr einfach auseinander, welcher Datensatz der aktuellste ist. Dadurch entstehen Schiefstände.“

Das Projekt KaZu mit der AOK Rheinland/Hamburg bildete dabei den Auftakt für weitere Bestandszusammenführungen bei den Gesundheitskassen. Für dieses Vorhaben hat die AOK-Gemeinschaft ein eigenes KaZu-Board gegründet. Eric Hunselar von der AOK Rheinland/Hamburg übernahm für das Pilotprojekt die Leitung. „Neben der Steuerung, Überwachung und Begleitung der Vorhaben, wollten wir über das Board vor allem Erfahrungen austauschen, Synergien schaffen und auch neue Tools entwickeln, sodass sich der Aufwand bei Folgeprojekten reduziert.“

Aus zwei identischen Softwarelandschaften wird eine
Die Daten werden dabei von einem abgebenden Bestand in das neue Zielsystem fusioniert, sodass künftig alle Inhalte in einem System zur Verfügung stehen und die Mitarbeiter anschließend nur noch in einem Bestand aktiv arbeiten. Ziel ist es dann im Weiteren, den abgebenden Bestand im Rechenzentrum abzuschalten und Wartungskosten zu reduzieren.

Ein Bestand vereinfacht die Arbeit erheblich

Gemäß des historischen Rolloutplans der AOK-Gemeinschaft von 1999 gab es zwei komplette oscare®-Systeme bei der AOK Rheinland und AOK Hamburg. „Die Systeme waren nahezu identisch, vom Business Partner, FS-CD, CRM über den Ariadne-Rahmen bis zu oscare®-MC. Es gab nur wenige Ausnahmen, die lediglich auf einem Bestand liefen. Beispielsweise das GKV-FI, weil es direkt als komplett neues System nach der juristischen Fusion aufgebaut wurde, auf das man aber von beiden Seiten Zugriff hatte“, erklärt Thorsten Heuer.

Für die Festlegung auf das abgebende System gibt es mehrere Kriterien. Eine Grundvoraussetzung für eine funktionierende Übernahme ist ein installierter ÜGP auf dem aufnehmenden Bestand. Das Hauptaugenmerk liegt aber in erster Linie auf der Bestandsgröße. „Hätte man die Daten der Rheinländer in das Hamburger System einfließen lassen, wäre die zu übernehmende Datenmenge viel größer und die Laufzeiten wären viel länger gewesen“, erklärt Thorsten Heuer das Verfahren. „Nicht immer lässt sich diese Entscheidung leicht fällen. Bei Zusammenführungen mit ähnlich großen Beständen ist die Frage zu beantworten, welches System die Einstellungen hat, die man beibehalten möchte. Wo ist am wenigsten Arbeit zu investieren? Und ein wesentlicher Punkt ist die Downtime, also die Zeit, in der die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kasse nicht auf das System zugreifen und in ihm arbeiten können. Je weniger Daten, umso schneller erfolgt die Migration und der Kunde ist wieder arbeitsfähig“, so Thorsten Heuer.

Am Anfang steht der gemeinsame Wissensaufbau
Ein KaZu-Projekt ist dabei in mehrere Phasen aufgeteilt. Im Vorbereitungsprojekt wird zunächst der Wissensaufbau der Projektbeteiligten in den Kassen, beim Rechenzentrum und der AOK Systems sichergestellt. Wie sieht die Übernahmelogik aus, was wird übernommen, was nicht? Was muss noch händisch nacherfasst werden, auf welche Daten muss künftig verzichtet werden. Hier kristallisieren sich für die Kasse auch erste Handlungsfelder zur Bewertung und Gleichschaltung der Bestände heraus. Beispielsweise gibt es im Leistungsbereich Gebührenpositionen. Ein technischer Schlüssel kann im Bestand A Haare kämmen, und im Bestand B Medikamentengabe bedeuten. Solche Schlüssel müssen im Vorfeld gemappt, also abgeglichen und vereinheitlicht werden.

Dann startet das Umsetzungsprojekt mit einer Harmonisierungsphase. Ziel ist es hier, einen großen Teil der Einstellungen zwischen den Beständen anzugeichen, um gute Ergebnisse in der Migration zu erhalten.

Es folgt die Phase der Produktionsvorbereitung, wo sich die Beteiligten auf einer Testlandschaft inklusive Datenverarbeitung von externen Stellen mit den fachlichen Migrationen auseinandersetzen, Bereinigungen durchführen und Fehler bei der Übernahme und Überschneidungen identifizieren, die die Maschine nicht auflösen konnte. Hier müssen Sachbearbeiter dann entscheiden, ob es sich um einen identischen Fall handelt, der von Zeit und Umfang her ausgeprägt werden muss, oder sind es unterschiedliche Sachverhalte, die dann abgegrenzt werden müssen. Es dürfen beispielsweise nicht in beiden Beständen Krankengelder gezahlt werden. So kann eine Zahlung vom 01. bis 16. ein Fall sein, vom 17. bis 31. ein anderer. Oder handelt es sich um einen durchgehenden Fall vom Anfang bis Ende des Monats. In einer rein maschinellen Betrachtung sind solche Fälle nicht immer einfach fachlich korrekt zu übernehmen.

Dann folgt die Produktivsetzung, beginnend mit einer Generalprobe, bevor es dann im Anschluss in die technische Bestandsfusion geht. Sie fand bei der AOK Rheinland/Hamburg vom 28.10. bis in den Morgen des 03.11.2016 statt. Vier weitere AOKs haben ihre Produktivsetzungstermine bis 2018 bereits festgelegt.

Erst archivieren, dann abschalten
Nach 18 Monaten erfolgt eine Daten-Archivierung des abgebenden Hamburger Bestandes. Er steht bis dahin noch als Auskunftssystem, beispielsweise für Notizen am Fall, zur Verfügung. Die Archivierung übernimmt dann ein Folgeprojekt, bei dem die Daten ausgelesen, aufbereitet und archivierungsfähig für den aufnehmenden Bestand gemacht werden. Dann folgt auch die Abschaltung des nun leeren Systems und die zeitaufwändigen Recherchen in zwei Systemen gehören endgültig der Vergangenheit an. „Der ÜGP konnte nur eine Sicht erzeugen. Eine etwaige Klärung musste häufig über Recherchen in beiden Beständen erfolgen. Jetzt liegen alle Daten in einem System, in einem sauberen Bestand. Der Kunde profitiert von schnelleren Arbeitsabläufen und Prozessen“, erläutert Thorsten Heuer.

Eine große Herausforderung war der strikte Zeitrahmen und das rollierende Vorgehen. Im Laufe des Projektes wurden mit fortschreitendem Erkenntnisstand die Inhalte angepasst, die übernommen werden sollten. Das bedeutete, dass Migrationsprogramme angepasst werden mussten und einige Bereinigungen konnten erst nach der Migration durchgeführt werden. Durch die vorliegende, breite Softwarelandschaft mit allen Kernmodulen von oscare®, musste das Projektteam auch fachlich und technisch breit aufgestellt sein: 35 Mitarbeiter auf Seiten der AOK, 15 des Rechenzentrums gkv informatik und 40 Mitarbeiter der AOK Systems haben das Pilotprojekt gestemmt. 180 Mitarbeiter haben kundenseitig die Daten nach der Migration getestet und bewertet. Die AOK Systems hat die Entlade- und Ladeprogramme für die fachlichen Module geschrieben, inklusive der unterschiedlichen Migrationsverfahren mit diversen fachlichen Prüfungen, z.B. für die Übernahme und Bewertung der Dubletten sowie Aufbereitungsprogramme und Korrekturreports. „Das waren deutlich über hundert Programme“, schätzt Thorsten Heuer. „Diese können nun als Grundlage für das nächste KaZu-Projekt verwendet werden.“ „Aus einem Entwicklungsprojekt ist ein echtes Rolloutprodukt geworden“, ergänzt Eric Hunselar. „Eine Leistung, von der alle Folgeprojekte profitieren können.“

Das KaZu-Projekt war eine starke Gemeinschaftsleistung zwischen Kasse, Rechenzentrum und AOK Systems

Die Vorbereitungen zum Projekt begannen im Juli 2015. Die ersten Workshops fanden im Oktober statt. Nach der erfolgreichen Produktivsetzung im November schließt KaZu bei der AOK Rheinland/Hamburg im Dezember 2016 mit einer Nachbetreuungsphase ab. Die bewegten Datenmengen sind gigantisch. 30 Mrd. Datensätze aus dem Leistungsbereich wurden im BW-System zusammengeführt und im Rahmen der Migration Daten von 1,25 Millionen Geschäftspartnern angepasst. Eric Hunselar zieht für die AOK Rheinland/Hamburg das Fazit: „Wir haben viele positive Rückmeldungen der Mitarbeiter nach der Produktivsetzung bekommen. Das Hin- und Herwechseln zwischen den Beständen entfällt. Das war belastend und aufwändig, die Arbeit in nur einem Bestand vereinfacht das Tagesgeschäft erheblich.“