Zusammenbruch der Sozialsysteme durch KI?

Durch Künstliche Intelligenz (KI) und Robotik drohen viele bestehende Arbeitsplätze wegzufallen. Manche Fachleute befürchten, dass in der Folge unsere Sozialsysteme zusammenbrechen könnten, weil dem Staat dann wichtige Steuereinnahmen entgehen. Ob diese Annahme begründet ist und welche Maßnahmen im Zweifelsfall gegen diese Entwicklung helfen könnten, haben wir Prof. Karsten Weber gefragt. Er ist Experte für Technikfolgenabschätzung an der Ostbayerischen TH Regensburg.
Herr Prof. Weber, Sie beschäftigen sich vor allem mit den Auswirkungen moderner Technik auf Individuen und Gesellschaften. Gibt es denn bereits Forschungsvorhaben oder sogar konkrete Ergebnisse zu den Folgen des verstärkten Einsatzes von KI und Robotik auf unsere Sozialsysteme?
Nicht dass ich wüsste. Ökonomen beschäftigen sich mit diesem Thema in der Regel vor allem aus Perspektive der Unternehmen, nach dem Motto: „Wie kann man Kosten einsparen und Effizienz sowie Produktivität steigern?“. Die volkswirtschaftliche Perspektive dagegen ist hierzulande, auch in anderen Bereichen, stark unterrepräsentiert. Wirtschaftswissenschaftler, die zum Beispiel in TV-Talkshows auftreten, stellen im Hinblick auf die sozialen Sicherungssysteme eher allgemein die Frage, wie sich diese finanzieren lassen. Mir persönlich sind aus Deutschland kaum Forschungsvorhaben und auch kaum Publikationen bekannt, in denen das Thema „KI-Einsatz und Sozialsysteme“ volkswirtschaftlich betrachtet wird. Entsprechende Studien existieren vor allem in den USA. Aber diese sind auf unsere Verhältnisse nicht übertragbar.
Trifft die pauschale Aussage, durch KI und Robotik würden mehr Arbeitsplätze verloren gehen als hinzugewonnen, denn überhaupt zu?
Der Stand der Diskussion ist sehr uneinheitlich. Auf der einen Seite gibt es die These, dass bereits in der Vergangenheit durch Rationalisierungsschübe zwar immer wieder Arbeitsplätze weggefallen sind – in Deutschland beispielsweise in der Werften- und Druckindustrie oder im Automobilbau –, durch die Automatisierung und Einführung von Computern aber in der Summe immer mehr Arbeitsplätze neu entstanden sind. Dementsprechend gibt es auch Experten, die die Auffassung vertreten, dass durch KI mehr neue Arbeitsplätze entstehen als verloren gehen.
Und was sagt die andere Seite?
Nicht wenige Fachleute warnen davor, dass dieser Kompensationseffekt diesmal nicht eintreten, sondern dass ein realer Wegfall von Arbeitsplätzen stattfinden wird und viele Betroffene nicht etwa neue Arbeit finden, sondern in die – dann hoffentlich vorhandenen – sozialen Sicherungssysteme hineinfallen werden. Da der ganze KI-Boom vergleichsweise jung ist, gibt es hierzu noch keine empirischen Erkenntnisse. Eine Studie von 2013 hatte damals für die USA prognostiziert, dass 45 Prozent aller Berufsfelder durch Digitalisierung und den Einsatz von KI komplett wegfallen würden. Die Zahlen, die man in den einschlägigen Publikationen findet, klingen inzwischen zwar nicht mehr ganz so dramatisch. Dennoch gehen sehr viele Volkswirte insgesamt eher von Arbeitsplatzverlusten aus.
Sie haben sich sehr viel mit der Digitalisierung und auch mit dem Einsatz von KI im Gesundheitswesen beschäftigt. Wie sieht es im Hinblick auf Arbeitsplatzverluste beziehungsweise -gewinne aus?
Es ist ja bekannt, dass wir im Gesundheitswesen, ganz allgemein, einen massiven Mangel an Arbeitskräften zu beklagen haben. Allein im Pflegebereich fehlen, je nach Schätzung, über 250.000 bis sogar fast 700.000 Pflegekräfte. Hier kann uns KI, um es etwas drastisch auszudrücken, den Hintern retten: Durch verstärkten KI-Einsatz werden keine Arbeitsplätze wegfallen, sondern offene Stellen durch Technik besetzt. Insofern kämen zwar keine zusätzlichen Menschen in Arbeit, die dann auch Steuern zahlen und die sozialen Sicherungssysteme stützen würden. Aber das Gesundheitssystem würde dadurch zumindest überhaupt erst überlebensfähig bleiben.
Ein Vorschlag, der zur Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme diskutiert wird, ist eine Sondersteuer auf den Einsatz von KI. Was ist davon zu halten?
Diese Diskussion gab es im Zuge der verstärkten Automatisierung, vor allem im Automobilbereich, bereits vor 40 bis 50 Jahren. Damals sprach man von Robotersteuer. Das war aber vor allem in Deutschland und in Japan für kurze Zeit ein Thema. Allerdings hat dies keinerlei steuerlichen Maßnahmen nach sich gezogen. Ich glaube auch nicht, dass sich darüber hierzulande ernsthaft öffentlich diskutieren lässt. Denn die Einführung einer solchen Steuer würde einen enormen Wettbewerbsnachteil für Unternehmen bedeuten. Ein solches Vorhaben ließe sich niemals isoliert umsetzen, sondern im Zweifelsfall nur auf europäischer Ebene. Aber das ist derzeit überhaupt noch nicht abzusehen.
Mal angenommen, eine solche Diskussion käme irgendwann doch zustande: Wie könnte eine Strategie, die sozialen Sicherungssysteme EU-weit zu retten, konkret aussehen?
Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten könnten zum Beispiel einen Mindeststeuersatz einführen, von dem wiederum ein festgelegter Anteil in die sozialen Sicherungssysteme einfließen würde. Ob das aber – auch angesichts der doch sehr heterogenen Zusammensetzung der jeweiligen Volkswirtschaften im Hinblick auf die Art der Wertschöpfung – durchsetzbar ist, wage ich zu bezweifeln. In Staaten, in denen der Dienstleistungssektor eine wichtige Rolle spielt, wäre so etwas sehr wahrscheinlich deutlich schwieriger durchzusetzen als in Gesellschaften, die stärker auf Industrieproduktion setzen und wo insofern durch KI deutlich größere Arbeitsplatzverluste drohen. Länder wie Deutschland, Spanien oder Polen beispielsweise wären hierzu womöglich eher bereit. Ob solch eine Diskussion aber überhaupt jemals stattfinden wird, wage ich zu bezweifeln.
Heißt das, wir steuern angesichts des verstärkten KI-Einsatzes in Bezug auf unsere sozialen Sicherungssysteme quasi sehenden Auges auf die Katastrophe zu – aber die Politik scheut sich davor, das Problem offen anzusprechen?
Ich denke, die Diskussion wird so oder so kommen müssen. Denn selbst ohne KI kündigen immer mehr Unternehmen inzwischen an, dass sie massiv Stellen abbauen wollen, zum Beispiel im Verwaltungsbereich, sodass dem Staat auch dadurch Sozialversicherungsbeiträge entgehen. Und da wir hierzulande darüber hinaus auch noch eine schrumpfende arbeitsfähige Bevölkerung haben, ist jetzt schon abzusehen, dass die Sozialversicherungsbeiträge in Zukunft immer weiter ansteigen werden. Es sei denn, der Politik fällt eine andere Finanzierungsmöglichkeit ein.
