Die Nutzen-Erfahrung erhöhen

Prof. Dr. Kristina Sinemus ist in Hessen seit Januar 2019 für die Digitalisierung zuständig – zunächst als Teil der Staatskanzlei, seit Anfang 2024 mit einem eigenständigen Ministerium. Das Hessische Ministerium für Digitalisierung und Innovation (HMD) hat rund 230 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und verfügt 2025 über ein Digitalbudget von rund 400 Millionen Euro. Im Interview verrät die Ministerin, wie sie einst an diese Aufgabe herangegangen ist und wo ihre Behörde im Bereich Gesundheit die Digitalisierungs-Schwerpunkte setzt.


Frau Sinemus, beginnen wir mit einer etwas provokant klingenden Frage: Wofür braucht es überhaupt ein eigenes Digitalministerium?

Für mich muss Digitalisierung als Querschnittsthema zentral aus einem Ministerium umgesetzt werden. Und genau das machen wir in Hessen: Wir bündeln, wir koordinieren und wir steuern sämtliche Digitalisierungsvorhaben ressortübergreifend aus unserem Haus hinaus – das ist in dieser Form einzigartig in Deutschland. So kann sowohl die Basis der Digitalisierung –  also die Infrastruktur, wie auch die vielfältigen Anwendungsbereiche – gezielt und effektiv vorangetrieben werden.


Wie darf man sich den Start Ihres Ministeriums im Januar 2019 rückblickend vorstellen? Haben Sie seinerzeit womöglich vor allem Digital-Nerds eingestellt, um den Ausbau Ihrer Behörde und auch die landesweite Digitalisierung möglichst rasch vorantreiben zu können?

Wir haben 2019 bei null begonnen und innerhalb eines Jahres eine gut funktionierende neue Organisationsstruktur aufgebaut, die eine klare Strategie auf den Weg gebracht hat. Aber ja, am Anfang war es ein gefühltes Start-Up, bei dem ich mit einem Büroleiter und Staatssekretär begonnen hatte. Ich hatte damals bereits Unternehmen gegründet, war am Aufbau einer Hochschule beteiligt und habe als Präsidentin eine IHK neu strukturiert. All diese Erfahrungen brachten mich schließlich auf vier Schwerpunkte, die für mich die Puzzlesteine im Aufbau eines digitalen Ministeriums sein sollten.


Welche Puzzlesteine waren das?

Der erste war ein eigenes Digitalbudget, verbunden mit einer Digitalstrategie, die wir neu aufgelegt haben. Das heißt, wir haben Projektinhalt und Projektcontrolling zusammengeführt – ähnlich wie in einem klassischen Unternehmen. Als zweites habe ich Wert daraufgelegt, in einem interdisziplinären und gemischten Team zu arbeiten. Das bedeutete konkret: Ein Drittel der Mitarbeitenden sollte mit ihren bisherigen Aufgaben ins neue Ministerium wechseln, ein Drittel sollte neue Aufgaben übernehmen und ein weiteres Drittel sollte von außen dazukommen. So konnte in den gemischten Teams ein Stück weit eine Matrix abgebildet werden, was bei Querschnittsbereichen immer hilfreich ist. Drittens sollte das Digitalministerium die operative Zuständigkeit für den Ausbau der digitalen Infrastruktur übernehmen – also für Mobilfunk, Breitband und die Telekommunikationsgesetzgebung. Und nicht zuletzt habe ich großen Wert darauf gelegt, innovative Zukunftsthemen im Digitalministerium anzusiedeln – Themen, die in anderen Häusern damals noch nicht in eigenen Referaten vorhanden waren.


Welche Themen fallen in diese Rubrik?

Neben dem Zukunftsthema Künstliche Intelligenz, das wir mit unserer KI-Zukunftsagenda und einem Fördervolumen von 100 Millionen Euro bereits in die Umsetzung gebracht haben, zählen dazu auch Themen wie Smart City und Smart Region. Gemeint sind damit „intelligente“ Städte und Regionen, die wir im Rahmen eines Förderprogramms gezielt bei ihrer digitalen Transformation unterstützen – etwa durch die Optimierung von Verwaltungsprozessen, die Digitalisierung der Daseinsvorsorge und die Entwicklung alltagsnaher, smarter Lösungen für Bürgerinnen und Bürger. Ein weiteres zentrales Feld ist die Verwaltungsdigitalisierung. Solche zukunftsweisenden Themen waren zuvor in keinem anderen Ressort eigenständig verankert.


In der HMD-Broschüre „Digitales Hessen“ ist als eines von zwölf „Highlights“ die Telemedizin aufgeführt, hier wiederum das „Kompetenzzentrum Telemedizin und E-Health“ Was hat es damit auf sich?

Die Digitalisierung des Gesundheitssektors bietet viele Potenziale für eine bessere medizinische Versorgung. Das zuvor im Gesundheits- und Sozialministerium angesiedelte Kompetenzzentrum wurde nach seinem Wechsel ins Digitalministerium gezielt weiterentwickelt. Eine unserer ersten Maßnahmen war die Einrichtung eines digitalen Pilotraums. Ziel war es, dem medizinischen Fachpersonal die Möglichkeit zu geben, neue Technologien auszuprobieren, Potenziale zu erkennen und mögliche Hemmschwellen im Umgang mit digitalen Lösungen abzubauen. Ergänzend dazu wurden gezielte Schulungen angeboten, um technische Systeme und Geräte sowohl visuell als auch haptisch kennenzulernen. Auf diese Weise konnten wir ein praxisnahes Verständnis schaffen und das Vertrauen in digitale Anwendungen stärken. So werden in Hessen heute deutlich mehr telemedizinische Beratungen durchgeführt als noch vor wenigen Jahren.


Im Zusammenhang mit dem Thema E-Health taucht auch ein Förderprogramm mit der Bezeichnung Distr@l auf. Was genau verbirgt sich dahinter?

Distr@l ist ein Förderprogramm, das gezielt auf Forschungs- und Entwicklungsprojekte ausgerichtet ist. Seit dem Start im Jahr 2020 konnten bereits rund 150 Vorhaben unterstützt werden – darunter 24 Projekte im Bereich E-Health. Gefördert wurden beispielsweise eine KI-gestützte Diagnostikmethode zur Herzuntersuchung sowie eine App, die mittels Künstlicher Intelligenz ein Langzeit-Monitoring im häuslichen Umfeld für Parkinson-Patienten ermöglicht. Und erst vor Kurzem hat unser „AI Quality & Testing Hub“ ein Unternehmen dabei unterstützt, die EU-Zertifizierung für die erste KI-Sprach-App zu erhalten. Diese unterstützt medizinisches Fachpersonal, indem es Empfehlungen für die Diagnose und Therapie von Erkrankungen bereitstellt.


Inwieweit kooperiert Ihr Ministerium bei einzelnen Digitalisierungsmaßnahmen oder -projekten mit Krankenkassen? Gibt es hier irgendwelche konkreten Beispiele?

Wir stehen bei Digitalisierungsthemen im Bereich Gesundheit natürlich auch immer im engen Austausch mit den Krankenkassen. So gab es in der Vergangenheit immer wieder Vorhaben, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen, bei denen sowohl wir als Ministerium als auch Vertreterinnen und Vertreter der Krankenkassen beteiligt waren – etwa beim E-Health-Kongress oder bei Fachveranstaltungen wie „Hessen vernetzt – Gesundheit digital“. Dort konnten sich die Teilnehmenden nicht nur über bestehende Fördermöglichkeiten informieren, sondern auch an Fachvorträgen und Diskussionsrunden teilnehmen und sich über Entwicklungen und Herausforderungen im Bereich der digitalen Gesundheit austauschen.


Was würden Sie auf Basis Ihrer inzwischen sechseinhalb Jahre langen Erfahrung als Digitalministerin sagen: Inwieweit beeinträchtigt die Bürokratie hierzulande das Vorankommen bei der Digitalisierung?

Ich denke, das bleibt auch künftig eine große Herausforderung. Gleichzeitig ist die Digitalisierung aber genau das Werkzeug, mit dem wir Bürokratie abbauen, Abläufe vereinfachen und Prozesse effizienter gestalten können. Ein gutes Beispiel dafür ist das gemeinsam mit Rheinland-Pfalz entwickelte Breitband-Portal: Waren früher mehrere Mitarbeiter monatelang mit der Bearbeitung von Anträgen auf Verlegung von Breitbandkabeln beschäftigt, hat sich dies durch einen volldigitalisierten Antragsprozess grundlegend geändert.


Was läuft denn in Sachen Digitalisierung in Deutschland bis jetzt schon gut und wo besteht noch besonderer Nachholbedarf?

Positiv ist aus meiner Sicht, dass Digitalisierung in Deutschland inzwischen als zentraler Faktor für die Zukunftsfähigkeit unseres Wirtschaftsstandorts erkannt wird. Wir verstehen zunehmend, wie wichtig die Verbindung von Innovation, Künstlicher Intelligenz, Quantencomputing und dem starken Rückgrat unseres Mittelstands für nachhaltiges wirtschaftliches Wachstum ist – und treiben diese Entwicklung aktiv voran. Gleichzeitig sehen wir aber auch, dass es nicht nur um technologische Fortschritte geht. Es ist entscheidend, den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern zu intensivieren und den konkreten Nutzen digitaler Lösungen im Alltag greifbar zu machen. Gerade im Gesundheitswesen gilt es deutlich zu machen, welchen Mehrwert die Digitalisierung bringt – etwa durch bessere Prävention, schnellere Diagnosen und eine effizientere Versorgung. Denn letztlich profitieren wir alle davon, auch finanziell.


Autor/in: Daniel Poeschkens, Abteilungsleiter Marketing/Kommunikation