Gut zu wissen
Wer mehr weiß, kann besser handeln – oder behandeln. Das gilt erst recht im Krankenhaus. Oft können Patienten aber nur mangelhaft Informationen über ihre Krankenhistorie geben. Deshalb hat die Knappschaft die „elektronische Behandlungsinformation“ (eBI) entwickelt. Bettina am Orde, Geschäftsführerin der Knappschaft, spricht im Interview über die Gründe und Vorteile der innovativen IT-Lösung.
Warum hat die Knappschaft die elektronische Behandlungsinformation (eBI) eingeführt?
Unser Selbstverständnis ist, dass wir die Versorgung nicht nur bezahlen, sondern auch aktiv gestalten. Unsere Versicherten sind viel älter als der GKV-Durchschnitt. Der beträgt 44 Jahre, bei uns sind es 57 Jahre. Außerdem sind mehr als 50 Prozent unserer Versicherten älter als 60. Und wir haben eine Pflegeprävalenz, die ist knapp dreimal so hoch wie der GKV-Durchschnitt. Wir haben also eine Versichertenklientel, die häufiger krank, schwerer krank und multimorbid ist. Und diese Patienten verfügen oft nicht über eine durchgängige Patienteninformation und sind als medizinische Laien oft die einzige Informationsquelle für den behandelnden Arzt.
Woran liegt das?
Man glaubte lange, der Informationsverlust finde an der Schnittstelle von ambulanter zur stationären Behandlung statt. Wir stellten bei der Analyse unserer Daten fest, dass es aber auch schon zwischen Haus- und Fachärzten ein erhebliches Kommunikationsdefizit gibt. Wir haben nicht selten Versicherte, die mehr als einen Hausarzt haben und die auch beim Facharzt Verordnungen bekommen, von denen der Hausarzt nichts weiß. Insgesamt werden unsere Versicherten im Schnitt von sieben Ärzten behandelt. Das spielt beim Thema Abstimmung der Therapien und insbesondere bei der Arzneimitteltherapiesicherheit eine große Rolle. Alles das zusammen hat uns bewogen zu überlegen, wie wir einen Arzt- und institutionsübergreifenden Informationstransfer medizinisch relevanter Daten im Sinne unserer Versicherten gewährleisten können, um so den Versicherten bei der Kommunikation mit Ärzten zu unterstützen und gleichzeitig die Versorgungssicherheit zu erhöhen.
Wie kompliziert war es, die eBI zu entwickeln?
Erst einmal brauchten wir eine Idee, wie so etwas operationell ausgestaltet werden kann. Es war klar, dass es im digitalen Zeitalter keine papiergebundene Informationsweitergabe sein kann. Wir haben uns an der Gesundheitskarte orientiert, die so etwas auch bieten könnte, aber bisher nicht zum Einsatz kommt.
Und wie sieht die Idee aus?
Als Krankenversicherung liegen uns alle Abrechnungsdaten der Versicherten vor. Wir bereiten die Daten so auf, dass das Krankenhaus eine umfassende Gesundheitshistorie der letzten drei Jahre zur Verfügung hat. Daraus lassen sich etwa folgende Fragestellungen der Ärzte im Patientengespräch beantworten: Wann war der Patient die letzten Male im Krankenhaus und mit welcher codierten Diagnose? Welche Ärzte hat er in letzter Zeit aufgesucht? Welche Medikamente sind abgerechnet worden?
Im Prinzip das, was auch auf der eGK stehen könnte.
Genau. Der Unterschied liegt aber zum einen darin, dass wir schon jetzt aktiv sind, und zum anderen darin, dass die Informationen auf der eGK von den beteiligten Ärzten separat erhoben und auf der Karte abgelegt werden sollen. Dies wird Aufwand bei den Ärzten generieren. In eBI sind die benötigten Daten ohne zusätzliche Datenerhebung und Erfassungsaufwand verfügbar.
Wie viele machen bei der eBI mit?
Derzeit etwa 210.000 von 1,7 Millionen der Knappschaft-Versicherten.
Das könnten noch deutlich mehr sein.
Das stimmt. Bei Anschreiben haben wir etwa 40 Prozent Zustimmung. Im Krankenhaus erklären etwa 90 Prozent ihre Teilnahme. Das ist nicht verwunderlich. Ich würde so ein Anschreiben auch erst einmal auf den Stapel auf meinem Schreibtisch legen, weil ich ja nicht vorhabe, ins Krankenhaus zu gehen. Falls man dann aber doch im Krankenhaus ist, stimmen viele zu, weil es ein Vorteil für sie ist. In Regionen, die aktuell kein eBI-Krankenhaus haben, informieren wir unsere Versicherten nicht aktiv, um keine Begehrlichkeiten zu wecken. Insgesamt arbeiten wir stetig an einer regionalen Auswertung unseres Angebotes.
Wie funktioniert das technisch?
In dem Moment, in dem der Patient zustimmt oder ein Patient, der bereits zugestimmt hat, im Krankenhaus aufgenommen wird, wird eine eBI generiert. Darauf kann die Klinik zugreifen.
Und der Datenschutz ist gewährleistet?
Von Anfang an waren unsere Datenschützer und der Bundesdatenschützer involviert. Die Daten liegen sicher hinter einer Firewall. Es hat bisher von keiner Seite Widerspruch gegen das Verfahren gegeben.
Gerade ältere Patienten sind beim Arztgespräch oft überfordert. Der Arzt ist aber auf Informationen zur Krankheitsgeschichte angewiesen. Da ist die eBI sicherlich eine große Hilfe, oder?
Aus dem Bereich der niedergelassenen Ärzte haben wir noch keine Erfahrung, da wir die eBI hier erst etablieren. Aber die Erfahrungen aus 34 teilnehmenden Kliniken zeigen, dass das Arzt-Patienten-Gespräch in der Aufnahmesituation erheblich erleichtert wird. Der Arzt kann auch viel gezielter nachfragen. Mit einer verbesserten medizinischen Datengrundlage können Therapieentscheidungen durch den Arzt qualitativ besser und sicherer vorgenommen werden.
Die Patienten profitieren, die Ärzte auch und was haben Sie als Krankenversicherung davon?
Einmal wollen wir natürlich die Qualität der Versorgung verbessern und unnötige oder gefährliche Verordnungen verhindern. Dies ist gerade beim Thema Arzneimittelsicherheit wichtig. Der Arzt entscheidet natürlich, was er verschreibt.
Aber mit der eBI verbessern wir die Arzt-zu-Arzt-Kommunikation zwischen stationärem und ambulantem Bereich sowie entlang der gesamten Behandlungskette. Davon versprechen wir uns natürlich eine bessere Versorgung, weil dank eBI Nebenwirkungen und Kontraindikationen ausgeschlossen werden können. Letztendlich bedingt eine hohe Behandlungsqualität auch wirtschaftliche Effekte, und das ist doch eine schöne Nebenwirkung.
Das System meldet also, wenn Medikamente verschrieben werden, die nicht zusammenpassen?
Dann erfolgt eine Warnung oder ein Hinweis in der eBI. Unter anderem ist die Priscus-Liste hinterlegt.
Merkt das System auch, wenn einem Patienten mit einer bestimmten Diagnose ein Medikament verschrieben wird, das er mit dieser Diagnose nicht einnehmen darf?
Das merkt eBI auch. Sogar die richtige Dosierung eines Medikamentes bei einer bestimmten Diagnose wird in eBI berücksichtigt.
Inzwischen arbeiten Sie schon an Stufe 2.0.
Genau. In dieser Ausbaustufe soll der ambulante Bereich miteinbezogen werden. Hier stehen wir aber noch am Anfang.
Die Digitalisierung ist die Zukunft des Gesundheitswesens. Wie geht es weiter?
Die Gesundheitskarte sollte hier selbstverständlich eine wichtige Rolle spielen. Wir haben die eBI so konzipiert, dass sie mit der eGK kompatibel ist. Wir wollten keine weitere Nebenstruktur etablieren. Perspektivisch könnte eBI somit eine von vielen Mehrwertanwendungen sein, welche die Telematikinfrastruktur nutzt.
Und wo sehen Sie Probleme bei der Weiterentwicklung der digitalen Versorgungsstrukturen?
Es gibt eine Ambivalenz zwischen Datenschutz und Transparenz. Man kann keine gute Versorgung ohne Transparenz gestalten. Wir brauchen einen Mittelweg: Wie viel Datenschutz brauchen wir, weil es natürlich um hochsensible persönliche Daten geht, und wie viel Transparenz muss sein, damit Patienten die Versorgung bekommen, die sie brauchen? Das ist die Herausforderung der nächsten Jahre. Ich glaube, dass wir mit der eBI, die wir in Kooperation mit anderen vorantreiben wollen, auf einem guten Weg sind.
In der GKV spielen die Rahmenbedingungen eine wichtige Rolle. Macht die Politik eigentlich genug?
Die neuen gesetzlichen Regelungen zur eGK sind ein weiterer Versuch. Ich glaube, jeder, der sich mit Versorgung beschäftigt, hätte sich gewünscht, dass die eGK, wie sie schon unter Ulla Schmidt konzipiert wurde, endlich kommt. Wenn man über die Grenzen schaut, geben wir kein gutes Bild ab.
Elektronische Behandlungsinformation (eBI)
Seit Juni 2013 bietet die Knappschaft mit der eBI eine einmalige Technik im Bereich Informationsmanagement an. Diese bietet den Kliniken das Wissen über Vorerkrankungen, über aktuelle und frühere Arzneimitteltherapien der Patienten und über frühere stationäre Behandlungen und ambulant betreuende Ärzte. Der Einsatz der eBI setzt das Einverständnis des Versicherten voraus sowie einen Kooperationsvertrag mit dem Krankenhaus, der die Schaffung der technischen Voraussetzungen, den Datenaustausch und die Qualitätssicherung regelt. Wenn der Versicherte sein Einverständnis erklärt hat, übermittelt die Knappschaft dem Krankenhaus bei Aufnahme des Versicherten über einen sicheren Datenaustausch sofort die vorhandenen Informationen zum Patienten.
Zur Person
Bettina am Orde ist seit 1. November 2015 Erste Direktorin und Vorsitzende der Geschäftsführung bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS).
Nach dem Studium der Sozialwissenschaften an der Uni Bochum war sie von 1987 bis 1990 Referentin für Verbandspolitik beim AOK-Bundesverband, danach Referatsleiterin „Gesundheitspolitik und Krankenversicherung“ beim DGB-Bundesvorstand. 1999 wechselte sie als Referentin für Grundsatzfragen zum IKK-Bundesverband und war dort ab 2002 stellvertretende Leiterin in der Abteilung Verbandspolitik. 2004 bis 2012 übernahm sie die Leitung des Bereichs „GKV und Vertragsarztrecht“ im NRW-Gesundheitsministerium. Im Juli 2012 wurde sie Direktorin der KBS und Geschäftsführerin der Knappschaft. Seit September 2013 ist sie außerdem ehrenamtliche Richterin am Bundessozialgericht.
Über die Knappschaft
Die Krankenkasse Knappschaft gehört zum Verbundsystem der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (KBS). Sie blickt auf eine 755-jährige Geschichte zurück und ist heute mit rund 1,7 Millionen Versicherten eine der größten Krankenkassen in Deutschland. Seit 2007 ist die Knappschaft eine für alle gesetzlich Versicherten frei wählbare Kasse. Sie unterhält bundesweit mehr als 100 Geschäfts- und Beratungsstellen und 23 Krankenhausbeteiligungen. Einzigartig in Deutschland sind die Integrierten Versorgungssysteme. Die Knappschaft stellt eine Vielzahl von Leistungen zur Früherkennung und Prävention bereit, viele zusätzliche Angebote reichen dabei über die Standards der gesetzlichen Krankenversicherung erheblich hinaus.