Der Gewinner heisst mobiles Arbeiten

Hat die Digitalisierung zwangsläufig vorangetrieben: Corona
Die Corona Krise ist allumfassend und hat viele schreckliche Auswirkungen. Aber schon jetzt zeigt sich, dass auch diese Krise wie schon so oft in der Menschheitsgeschichte viele Chancen bietet. Krisen sind seit jeher der ultimative Game-Changer, sie sind ein Crashkurs und zwingen alle zum Umdenken. Die Digitalisierung hat einen unglaublichen Schub erhalten und mit ihren Stärken überzeugt. Gerade die Arbeitswelt hat sich in einem unglaublichen Tempo den neuen Bedingungen angepasst. So schnell hat die Arbeitswelt selten einen Paradigmenwechsel durchlaufen. Daraus lässt sich viel ableiten. Und dieser Wandel wird sich nicht wieder umkehren.
 
Abgesehen von der Spanischen Grippe, deren Schrecken aber von denen des 1. Weltkrieges überlagert wurden, hat die westliche Welt schon lange keine Pandemie dieses Ausmaßes mehr erlebt. Was bis heute im kollektiven Gedächtnis erhalten geblieben ist, ist die Pest. Bis zu einem Drittel der Bevölkerung starb in nur wenigen Jahren. Das führte aber auch dazu, dass aufgrund von fehlenden Arbeitskräften höhere Löhne bezahlt wurden. Langfristig gesehen sind weitere soziale, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen durch die Pest auch die Wegbereiter der Neuzeit. Die Menschen damals brauchten Jahrhunderte, um Wege zu finden, die Krankheit zu behandeln und zu bekämpfen. Das sieht bei Corona ganz anders aus: Innerhalb weniger Monate wurden unglaubliche Fortschritte bei der Analyse des Virus, bei Behandlungsmöglichkeiten und Medikamenten gemacht – selbst ein Impfstoff scheint bald verfügbar zu sein. Noch vor wenigen Jahrzehnten hätte das anders ausgesehen, denn damals gab es noch nicht die Digitalisierung. Erst ihre Möglichkeiten und Werkzeuge machen vieles möglich – nicht nur bei der Bekämpfung des Virus.
 
Ein gewaltiges Experiment
Wir stellen uns jetzt mal vor, die Krise hätte uns 1979 getroffen: Die wenigen Hörspiele hätten die Kids bald durchgehört und die Eltern die wenigen Bücher im Schrank dreimal durchgelesen, in den einzigen drei Programmen gähnende Langeweile und Wiederholungen und vor den lokalen Geschäften hätten sich endlose Schlangen gebildet, weil es eben nur dort etwas zum Einkaufen gab. Schutzmasken aus dem 3-D-Drucker gab es natürlich auch nicht, genauso wenig wie den sozialen Austausch über Twitter, Facebook oder WhatsApp. Schon ein 20-minütiges Telefonat von München nach Hamburg wäre eine teure Angelegenheit gewesen. Mobiles Arbeiten wäre vollkommen utopisch gewesen. Natürlich können eine Kassiererin, ein Polizist, eine Ärztin oder ein Feuerwehrmann auch heute nicht ins Mobile Arbeiten wechseln, aber es war doch ganz erstaunlich, wie viele Menschen so schnell ihren Arbeitsplatz in ihre eigenen vier Wänden verlegten. Davor war in vielen Unternehmen Heimarbeit höchst umstritten, oft nicht gern gesehen – jetzt auf einmal möglich, bald sogar Pflicht. Und es funktionierte – ohne dass davor lange über Daten- oder Arbeitsschutz diskutiert oder ein monatelanges Change-Programm aufgesetzt wurde. „Wir haben früh in der Krise reagiert und remote empfohlen. Ziel war die Sicherstellung des laufenden Betriebs der AOK Systems bei gleichzeitigem Schutz der Beschäftigten sowie einer Entlastung auch hinsichtlich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf im Kontext der Schließung von Kindergärten und Schulen. Unsere Mitarbeiter haben sich schnell an das neue Arbeiten gewöhnt. Alle Aufträge konnten termingerecht bearbeitet werden“, bekräftigt Michael Rongelraths, Geschäftsbereichsleiter Kompetenz-Pool und kommissarischer Leiter Personal und Organisationsentwicklung bei der AOK Systems.
 
Weniger Tage im Büro
 
Bedeutet „Mobiles Arbeiten“ mehr Lebensqualität?
Nicht nur Führungskräfte, sondern auch viele Arbeitnehmer selbst waren noch vor wenigen Monaten dem Mobilen Arbeiten gegenüber sehr kritisch eingestellt. Durch Corona waren in vielen Branchen viele Menschen gezwungen, viele Tage zu Hause zu arbeiten – und waren überrascht von der Effizienz. Durch den Wegfall des Arbeitswegs gewinnt man viel Zeit. Zeit, die man mit Familie und Hobbys verbringen kann. Gleichzeitig stellen viele Menschen fest, dass sie zu Hause effizienter arbeiten, dass es deutlich weniger Ablenkung als im Büro gibt. Das heißt nicht, dass jetzt alle Arbeitnehmer für immer zu Hause bleiben wollen. Ganz im Gegenteil wollen viele zurück, freuen sich sogar darauf – dann aber vielleicht nicht mehr fünf Tage in der Woche. „Nicht alle Tätigkeiten funktionieren mobil. Und soziale Kontakte sind wichtig, gerade zur Teambildung. Es gilt jetzt, die positiven Erfahrungen mitzunehmen und zu schauen, wie man das in vernünftige Rahmenbedingungen umsetzen kann“, sagt Rongelraths.
 
Und es hat Zoom gemacht
Eine ganz wichtige Rolle wird in dieser veränderten Arbeitswelt den Videokonferenzen zukommen – wie auch jetzt schon in der Krise. Zoom, WebEx, FaceTime oder andere Video-Tools – sie sind quasi die Superstars der Krise. Kinder nehmen damit am Unterricht teil, die Fitnesstrainerin macht auf dem Tablet die Vorturnerin und selbst die 90-jährige Oma im Pflegeheim hält so Kontakt mit ihren Enkeln. Videokonferenzen haben in den vergangenen Monaten explosionsartig zugenommen. Und es zeigt sich: Videomeetings funktionieren gut, oft sind sie sogar deutlich besser – weil konzentrierter und effizienter. Dazu kommen die Kosten und der ökologische Aspekt: Videokonferenzen sparen Reisekosten und Arbeitszeit und schonen aufgrund der Einsparungen auf der Straße oder in der Luft die Umwelt. Wichtige Faktoren, die auf Ziele einzahlen, die in den meisten Unternehmen schon lange eine wichtige Rolle spielen: Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit.
 
Ein dritter Punkt kommt noch dazu: Mobiles Arbeiten und Videokonferenzen werden längerfristig dafür sorgen, dass Unternehmen deutlich weniger Büroflächen vorhalten müssen. Michael Rongelraths: „Wir werden uns sicherlich das Raumkonzept der AOK Systems anschauen.“ In die Zukunft geschaut können diese Entwicklungen weitere Auswirkungen haben: Mehr Menschen, vor allem Familien, werden das Landleben den Städten vorziehen. Lange Anfahrtswege sowohl unter zeitlichen, finanziellen und ökologischen Aspekten sprechen bisher dagegen. Wenn der Arbeitsweg nur noch zweimal in der Woche absolviert werden muss und ein Elternteil immer zu Hause ist, kann dies wieder attraktiv werden. Das bedeutet aber auch, dass der Staat jetzt mehr denn je gefordert ist, die Infrastruktur schnell auszubauen. Und auch das hat die Krise bloßgestellt: Mobiles Arbeiten ersetzt keine Kinderbetreuung. Auch hier ist der Staat massiv gefordert.
 
Per Schleudersitz in die Zukunft
 
Das Tempo in Richtung Digitalisierung ist deutlich angezogen
„Corona hat der Digitalisierung definitiv den dringend notwendigen Schub gegeben. Auch wenn ich mir dafür keine Krise herbeigewünscht habe. Digitalisierung ist kein Luxus, sondern eine zwingende Notwendigkeit, um unseren Wohlstand und unsere Wettbewerbsfähigkeit auch in Zukunft zu sichern. Ich hoffe, dass nun jedem Digitalisierungs-Bedenkenträger klargeworden ist, dass es ohne Digitalisierung nicht geht“, erklärte Dorothee Bär, Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung, Anfang Juli im Interview mit dem Handelsblatt. Unternehmen, die bereits rechtzeitig ihre Prozesse digitalisierten, kommen mit der Krise besser zurecht. Ein gutes Beispiel sind etwa die gesetzlichen Krankenkassen. „Die AOKs konnten dank oscare® sowie ihrer IT-Dienstleister ebenfalls remote arbeiten und ihre wichtigen gesamtgesellschaftlichen Aufgaben weiter erfüllen sowie den Kunden einen hochwertigen Service bieten“, erklärt Rongelraths.
 
Normalerweise sind Viren Gift für jede IT-Struktur, dieser Virus ist eher eine Vitaminspritze. Vor allen die großen IT-Unternehmen gehen wirtschaftlich gestärkt aus der Krise hervor, ihre Aktienwerte schossen geradezu in die Höhe. Amazon entwickelte sich von der größten Online-Handelsplattform quasi zum Grundversorger, aber auch andere Online-Plattformen kamen mit den Auslieferungen gar nicht mehr hinterher. Und auch viele kleine Geschäfte, Dienstleister oder Restaurants konnten mithilfe von digitalen Tools Services anbieten, um weiter am Markt aktiv zu sein.
 
Schub für die Gleichberechtigung
Eine weitere Gewinnerin dieser Krise werden die Frauen sein – auch wenn das auf den ersten Blick nicht deutlich ist. Derzeit sieht es eher sogar so aus, dass gerade die Frauen den Großteil der Hausarbeit und Kinderbetreuung stemmen. Manche befürchten sogar eine Retraditionalisierung – aber das Gegenteil wird der Fall sein. Der Grund, warum die Wahrnehmung eine andere ist, ist, weil die Realität noch eine andere ist. Viele Frauen, gerade mit Kindern, arbeiten nicht in Vollzeit und in vielen Beziehungen sind die Männer noch die Hauptverdiener. Aber das wird sich ändern, denn die Krise hat gezeigt, dass mobiles Arbeiten und Führung auf Distanz funktionieren. Mehr Frauen werden deshalb langfristig eher mehr arbeiten und bereit sein, Karriere zu machen.
 
Auch die Männer und ihre Führungskräfte haben gesehen, dass mobiles Arbeiten oder eine Auszeit eben nicht problematisch ist. Im Umkehrschluss werden zukünftig mehr Männer Elternzeit nehmen oder zu Hause arbeiten, um Familie und Beruf zu vereinbaren. Das wird zu mehr Geschlechtergerechtigkeit führen. Und die Führungskräfte werden insgesamt viel offener für flexible Arbeitszeitmodelle sein. „Vertrauen ist wichtig, und die Ergebnisse zeigen, dass es funktioniert. Eine Führungskraft mit exakten Vorgaben und ständiger Kontrolle ist ein Auslaufmodell. Natürlich war ‚Führen auf Distanz‘ über so einen langen Zeitraum für uns alle neu. Wir haben auch viel gelernt“, erklärt Rongelraths. Außerdem: Studien zeigen, dass Frauen sich deutlich besser selbst organisieren können als Männer und damit von den Möglichkeiten der neuen Arbeitswelt überdurchschnittlich profitieren werden. Und was bleibt noch von der Krise? Ganz viel: Es ist viel mehr möglich, als viele dachten. Manchmal sollte man einfach loslegen. Man kann alles ändern – auch eingefahrene Routinen und sogar sich selbst.