Die nächste Revolution
Smartphones, Clouds und künstliche Intelligenz verändern stetig und umfassend unsere Welt. Und die nächste große Revolution kündigt sich bereits an. Die Blockchain-Technologie kennen die meisten bisher nur von der digitalen Währung Bitcoin. Ihr Ruf ist nicht der beste, doch die Technologie kann noch viel mehr. Alle großen IT-Unternehmen arbeiten an Umsetzungen und in vielen Bereichen und Firmen sichert die Blockkette bereits wichtige Prozesse.
Ein globales Thema
Das Weltwirtschaftsforum in Davos hat eine eher konservative Sicht auf die Weltwirtschaft, trotzdem glaubt man auch hier, dass bereits 2027 zehn Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts in einer Blockchain gesichert sein werden. Die EU hat in diesem Jahr eine Deklaration zur Gründung einer „Europäischen Blockchain-Partnerschaft“ unterschrieben, der bereits 22 Länder angehören. 80 Millionen Euro hat die EU inzwischen in diese Technologie investiert, mindestens 300 Millionen sollen bis 2020 folgen. Und das Start-up „Block.One“ hat bei seinem Börsengang gerade erst 4,2 Milliarden Dollar eingesammelt. Für die meisten Menschen ist Blockchain allerdings immer noch gleichbedeutend mit Bitcoin. Dabei ist die Kryptowährung zwar die älteste, aber auch nur eine unter inzwischen Tausenden Blockchain-Anwendungen – und täglich werden es mehr. Begonnen hat alles am 3. Januar 2009 um 18.15 Uhr Weltzeit, als die grundlegende Software ins Internet geladen wurde. Erste Überlegungen dazu gab es bereits in den 1990er-Jahren.
Ende der doppelten Buchführung
Zuallererst ist die Blockchain eine dezentrale Datenbank. Sie bezeichnet eine stetig erweiterbare Folge von Datensätzen, die miteinander verkettet sind. Jeder neue Datensatz enthält Daten, Werte und Informationen aus dem vorangegangenen Datensatz. Da diese Ketten auf vielen Rechnern weltweit gespeichert sind und die Datensätze nicht gefälscht werden können, bietet die Blockchain eine extrem hohe Datensicherheit auch für extrem große Datenmengen bei gleichzeitig hoher Transparenz der Transaktionen innerhalb der Kette. Natürlich sind die kryptografischen Verfahren hinter der Blockchain-Technologie hochkomplex. Inzwischen gibt es aber unzählige Anwendungen, mit denen vielfältige Prozesse einfach, schnell, transparent und sicher mit dieser Technologie realisiert werden können. Das Bahnbrechende an der Technologie ist, dass es eine grundlegende Methode unseres Wirtschaftssystems überflüssig macht: die doppelte Buchführung. Weitergedacht benötigt es in Zukunft keine Händler, Vermittler oder Verkäufer mehr. Produzent und Konsument können direkt in Kontakt treten und ihre Geschäfte abwickeln.
Volle Kontrolle über meine Daten
Witziges Beispiel: Ein Bierproduzent ermöglicht es seinen Kunden, Bier mit selbst designten Bierdeckeln zu erwerben. Der Kunde kann direkt in den Fertigungsprozess eingreifen. Bestellung, Bezahlung sowie die Übermittlung der Daten an die Produktionslinie erfolgen über eine Anwendung, die auf Blockchain-Technologie basiert. Hier sind es zwar nur Bierdeckel, es könnten aber auch Turnschuhe mit einem bestimmten Muster, Fensterscheiben in besonderen Formen oder Plastikstühle in außergewöhnlichen Farben sein. Joseph Lubin ist Mitbegründer von Ethereum, der populärsten Blockchain-Technologie neben Bitcoin. Mit seiner Firma ConsenSys entwickelt er Anwendungen für das Web 3.0. In diesem sollen die User volle Kontrolle über ihre Daten und Identität haben, gleichzeitig bräuchte es keine Sharing-Plattformen wie Uber oder Airbnb, da Anbieter und Kunden direkt ihre Transaktionen abwickeln könnten. Das würde natürlich auch im viel größeren Maßstab für weltweite Geschäfte zwischen Unternehmen gelten. Aufwendige und teure Prüfungsverfahren und Vermittler, wie etwa Banken, würden unnötig. Erste Handelsplattformen für Rohstoffe oder Waren gibt es bereits.
Eine transparente Kette
Natürlich haben die großen IT-Firmen wie Oracle, SAP, IBM oder Facebook die Technologie längst für sich entdeckt und arbeiten an den Einsatzmöglichkeiten. Microsoft hat etwa ein blockchainbasiertes Lieferketten-System entwickelt, das eine lückenlose Rückverfolgung entlang der gesamten Lieferkette gewährleistet. BMW arbeitet mit einem Kobald-Ledger: Das Programm ermöglicht die Kontrolle, ob die verwendeten Rohstoffe ethisch korrekt geschürft wurden. Wie so etwas funktioniert, zeigt eine Anekdote von Walmart: 2016 hatte eine Führungskraft in einer Sitzung eine Packung geschnittener Mangos auf den Tisch gelegt und ihre Leute aufgefordert, den Ort der Ernte ausfindig zu machen. Sie benötigten fast sieben Tage. Kurze Zeit später präsentierte er eine Anwendung von IBM, die Informationen für jedes Produkt in wenigen Sekunden anzeigt – und zwar für die gesamte Lieferkette. Es gibt Tausende Beispiele, wo Blockchain bereits im Einsatz ist – in Estland, dem digitalsten Land der Welt, sowieso. In „e-estonia“ können die Bürger längst digital unterschreiben, wählen und über 900 staatliche E-Dienste nutzen. Grundlage ist eine riesige zentrale Datenbank, die auch auf Blockchain-Technologie basiert. Der US-Bundesstaat West-Virginia hat die Technik bereits bei Wahlen eingesetzt, DeBeers benutzt sie zur Authentifizierung von Diamanten, in Südafrika bekommen Kinder per Kettenbrief ihr staatliches Essensgeld. Und Axa hat mit Fizzy eine kleine smarte Flugreiseversicherung, die bei bestimmten Verspätungen automatisch Kosten zurückerstattet. In einem Supermarkt in einem jordanischen Flüchtlingscamp können die Bewohner sogar per Augenaufschlag, dabei wird die Iris gescannt, bezahlen.
Demokratisierung der Daten
Wie jede andere Branche ist auch das Gesundheitswesen ein mögliches Einsatzgebiet. Das Berliner Start-up meHealthX arbeitet an einer Blockchain-Plattform für mobile Gesundheitsdaten. In der Pharmaindustrie könnte Blockchain helfen, gefälschte Medikamente zu verhindern, in Krankenhäusern könnte es die Logistik und die Lagerhaltung optimieren, aber auch die autonome Überwachung von Medizinprodukten wie etwa Herzschrittmachern ist ein mögliches Einsatzgebiet. Vor allem bei der sicheren Vernetzung des Gesundheitswesens könnte die Technologie ihre Stärken ausspielen. Die Patienten könnten selbst entscheiden, wem sie welche Daten zur Verfügung stellen und für was sie verwendet werden – die Realisierung der „Demokratisierung der Daten“. Gesundheitsminister Jens Spahn hat auf der Start-up-Messe „Cube Tech Fair“ in Berlin unterstrichen, dass die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorangetrieben werden muss – allerdings müsse man sich Technologien wie die Blockchain erst einmal genau anschauen. Wie es gehen kann, macht auch hier Estland vor. 95 Prozent der Daten, 99 Prozent der Rezepte und 100 Prozent der Rechnungen im Gesundheitswesen sind digital. In E-Akten sind alle Behandlungen, Diagnosen und Kontakte dokumentiert. Die Daten sind gut geschützt und die Versicherten können sie individuell weitergeben. Blockchain-Technologie soll dieses System jetzt noch effizienter und sicherer machen. In der GKV sind etwa die Genehmigungsprozesse ein möglicher Ansatzpunkt. Konkrete Überlegungen, wie Blockchain und oscare® zusammenpassen, sind aber noch nicht erfolgt. Möglich wäre etwa, den GKV-Lebenszyklus eines Versicherten als Blockchain abzubilden. Auch beim Identity-Management zeichnen sich Perspektiven ab. „Dies alles passiert nicht von heute auf morgen, aber die Blockchain-Technologie birgt disruptives Potenzial für die GKV“, erklärt Michael Baumgärtner, Produktmanager Digitalisierung, Online- und Dokumentenservices bei der AOK Systems.