Update für den Körper

Schlaue Uhren sammeln Informationen über unseren Fitnesszustand

Das Smartphone in der Hosentasche wird immer leistungsfähiger. Mit nur einem Klick haben wir Zugriff auf das Wissen der Welt und können uns mit ihr verbinden. In Kürze werden wir mit dem Handy auch umfassenden Zugriff auf unseren Körper haben. Das eröffnet eine ganz neue Dimension der Gesundheitsversorgung und Prävention. Auch für die Krankenkassen ist dies ein höchst interessantes Tätigkeitsfeld. 

Wie so oft begann es mit einer Spielerei. Die ersten Wearables waren Schrittmesser. Aber von der Vermessung der Welt waren die ersten zugehörigen Programme noch weit entfernt. Inzwischen ist es ein Markt und ein Entwicklungsfeld, das bei fast allen IT-Firmen höchste Priorität genießt. Pulsmesser, Blutzuckermessgeräte oder Fitnessarmbänder – Wearables sind letztendlich Sensoren, die Daten messen, aufzeichnen und an eine Schnittstelle übermitteln. Die praktischste Lösung ist derzeit das Smartphone, auf dem die Daten optisch aufbereitet dargestellt oder direkt weitergeleitet werden können. Wie schnell sich die Stimmung bei Herstellern, Experten, aber vor allem Verbrauchern gedreht hat, lässt sich exemplarisch an dem wohl bekanntesten Wearable der Welt erklären: Bereits 2012 wurde Google Glass vorgestellt. Doch von Anfang an schlug der Datenbrille – vor allem seitens der Verbraucher – Skepsis entgegen: Überwachungsinstrument, unnötig, unpraktisch lauteten fast einhellig die Urteile. Kaum jemand wollte sie sich aufsetzen, 2016 wurde das Projekt begraben. Seit wenigen Monaten ist die Brille wieder zu Leben erwacht. Google hat Updates für Android veröffentlicht. Und die Generation derjenigen, die 2012 noch Kinder waren und jetzt Teens sind, würde die Brille sicherlich ohne Bedenken tragen. Schließlich ist eine Sonnenbrille von Snapchat, die kurze Videos aus der eigenen Blickrichtung drehen und online stellen kann, derzeit in dieser Altersgruppe ein heiß begehrtes Gadget, das nur sporadisch verkauft und anschließend online für horrende Preise weiterverkauft wird.

Labor auf der Haut
Wearables sind inzwischen also in aller Munde, bald werden sie auch in unseren Kleidern, Schuhen und selbst in unseren Körpern sein. Eine indische Firma hat zum Beispiel eine Sohle entwickelt, die an verschiedenen Stellen vibrieren kann. Hat man einmal einen Weg durch die Stadt oder zum Joggen im Wald programmiert, zeigt die Sohle einem per Vibration den Weg. Bei Weitem nicht nur eine Spielerei: Damit können auch Feuerwehrleute in einem verqualmten Haus zu einer eingeschlossenen Person geleitet werden oder Blinde ihren Weg selbst in der freien Natur finden. Derzeit sind rund 20 Milliarden Geräte online, 2030 werden es mindestens 500 Milliarden sein – und sie werden immer kleiner. An der TU Ilmenau arbeiten die Forscher etwa an Minimaschinen aus Silikon, die man biegen, drehen und stauchen kann.

Jetzt noch auf der Haut: Minicomputer

Längst überwachen viele Menschen ihren Körper oder Schlaf sowie ihre Bewegungen mit Wearables und analysieren die Daten mithilfe verschiedener Apps. Apple hat mit Health eine Plattform entwickelt, die bereits Bestandteil von iOS ist.

Den Körper im Blick
Kritiker sagen, dass die Selbstvermessung übertrieben und hinsichtlich des Datenschutzes problematisch ist. Aber Daten können anonymisiert werden. Und sollte nicht jeder die Möglichkeit haben, im Interesse seiner Gesundheit seine Körperfunktionen zu überwachen? Ein Beispiel: Der Wissenschaftler Michael Synder überwachte in einem Selbstversuch mit sieben Wearables zwei Jahre seinen Körper. Rund 250.000 Daten sammelte er pro Tag. Diese Masse an Daten an jedem Tag und in jeder Lebenssituation ermöglicht einen ganz neuen Einblick in die Körperfunktionen. Bisher gehen wir in gewissen Abständen zum Arzt, lassen uns untersuchen und piksen. Anschließend werden die Werte mit den Standardwerten verglichen. Was in unserem Körper in der Zeit dazwischen passiert, wissen wir nicht – und jeder Mensch tickt schließlich anders. Und so wusste Synder längst, dass sein Körper immer ganz besonders aufs Fliegen reagiert. Und so wusste er sofort nach dem einen Flug, dass dieses Mal etwas anders ist, da sich die Werte nach der Landung nicht einpendelten. Zusammen mit der Tatsache, dass er zwei Wochen zuvor in einer Gegend einen Zaun errichtet hat, in der viele mit Borreliose infizierte Zecken vorkommen, ließ das nur einen Schluss zu: Er hatte sich infiziert. Er besorgte sich Antibiotika und konnte die Infektion im Keim ersticken, bevor sie den Körper nachhaltig schädigen konnte.

Tricorder am Handgelenk
Vor allem im medizinischen Bereich werden die digitalen Augen und Ohren die Versorgung in Zukunft langfristig verbessern. Apple ist wohl kurz davor, den „Heiligen Gral“ zu entdecken. Nicht ohne Grund konzentrieren sich viele Unternehmen auf den Diabetesbereich. Weltweit sind Millionen Menschen davon betroffen – hier lässt sich viel Geld verdienen. Als der „Heilige Gral“ gilt eine Technik, den Blutzuckerwert zu messen, ohne in die Haut einzudringen. Experten vermuten, dass Apple bald Sensoren anbietet, die dann an der Unterseite der Apple Watch platziert sind – und mithilfe von Licht den Blutzuckerwert auf der Haut bestimmen können. Andere Firmen hatten die Forschung in diesem Bereich gestoppt oder erst gar nicht begonnen, da man von Entwicklungskosten von mindestens einer Milliarde Dollar ausging. Für Apple, das derzeit allein über Barreserven von über 450 Milliarden Dollar verfügt, kein Hinderungsgrund. Der nächste Schritt: ein Wearable, das automatisch die richtige Menge Insulin verabreicht. Darüber hinaus würde diese Technik es in Zukunft ermöglichen, viele weitere Körperwerte von außen zu bestimmen. Der medizinische Tricorder aus Star Trek ist keine Utopie mehr. Augeninnendruck, EKG, Ultraschall oder Hirnströme – all das werden wir bald überall mit kleinen Zusatzgeräten messen können. Und das Beste: Zugehörige Apps können viel schneller und zuverlässiger als ein Arzt analysieren, ob eine Erkrankung vorliegt.

Das Hemd denkt mit
Auch Google arbeitet mit Hochdruck an der Entwicklung von Wearables im medizinischen Bereich. Das Update von Google Glass ist vielleicht ein Hinweis, dass Google wieder vermehrt an Anwendungen dafür arbeiten will. Große Zukunft hat die Datenbrille im OP: Der Arzt könnte anhand eines Realbildes und einer darübergelegten Simulation millimetergenau sehen, wie, wo und wie tief er schneiden muss. Vorgestellt hat Google bereits die Kontaktlinse Lens. Diese kann in der Tränenflüssigkeit den Blutzuckerwert messen und sendet die Werte über eine integrierte Antenne, feiner als ein Haar. Problem ist hierbei allerdings noch die Stromversorgung. Ein weiteres Einsatzgebiet von Wearables sind Kleidungsstücke. Vorreiter ist wiederum Google, das ein Joint Venture mit Leviʼs gegründet hat. Sie wollen Kleidungsstücke herstellen, die anhand integrierter Sensoren Körperwerte wie den Herzrhythmus überwachen können. Der Vorteil: Die Kleidungsstücke sind direkt auf der Haut und sehen auch noch gut aus. Ein weiteres Anwendungsgebiet: Unterwäsche, die vor allem bei älteren Menschen merkt, ob diese genug getrunken haben. Noch absolute Zukunftsmusik sind Wearables in Nanogröße, die durch unseren Körper, die Blutbahnen oder Darm patrouillieren und analysieren, ob sich Krebszellen entwickeln, Adern verstopfen oder sich Viren oder Bakterien irgendwo einnisten.

Handy statt Pille
Schon heute möglich: Anhand der konsequenten Überwachung der Körperwerte ist eine genaue Bestimmung der fruchtbaren Tage von Frauen möglich. Das erhöht die Chance auf Nachwuchs erheblich, gleichzeitig kann dies zukünftig auch zur Verhütung eingesetzt werden. Und anstatt mit klobigen Manschetten den Blutdruck an den dicken Armvenen zu messen, erfolgt dies über einen Minisensor im Innenohr. Am RWTH Aachen arbeitet man an einer intelligenten Wundauflage, die Temperatur, Feuchtigkeit und pH-Werte kontinuierlich misst und die Werte an das Pflegepersonal sendet. Ein weiterer interessanter Ansatz zum Einsatz von smarter Kleidung kommt ebenfalls aus Aachen: Kleidung für Reha-Patienten, die ihre Bewegungsabläufe misst. So kann der Physiotherapeut die Bewegungsmuster nicht nur in der Laborsituation in seiner Praxis analysieren, sondern er sieht, wie sich die Patienten im häuslichen Umfeld richtig oder falsch bewegen – und er kann mit Übungen gezielt darauf reagieren. Eine Technologie, die etwa für Krankenkassen interessant sein kann, die schon heute viel Unterstützung geben, damit ihre kranken Versicherten wieder richtig gesund werden.

Verständigung par excellence: Echtzeitübersetzung im Ohr

Dolmetscher im Ohr
Die AOK Nordost hat bereits erste Schritte in der Welt der Wearables unternommen. Bei „FitMit AOK“ können Versicherte mit Bewegung Punkte sammeln, die dann später in Prämien umgetauscht werden. Dafür gibt es eine AOK-App, aber auch die Daten aus anderen Apps, die die Bewegungen messen, können übertragen werden. Als Beispiel, wie schnell die Technik insgesamt voranschreitet, sollte man sich One2One anschauen – oder einfach zuhören. Der Babelfisch aus „Per Anhalter durch die Galaxis“ wird Realität: Mit wenigen Sekunden Verzögerung kann das System derzeit acht Sprachen untereinander dolmetschen. Voraussetzung ist, dass beide Gesprächspartner das One2One-Wearable im Ohr tragen. Die Technik dahinter ist Watson von IBM, die derzeit wahrscheinlich stärkste künstliche Intelligenz. Das System funktioniert schon ganz gut. Sprechen aber erst mal Hunderttausende oder Millionen Menschen Milliarden von Minuten damit, wird Watson immer besser, schneller und genauer werden, erste Dialekte kann er schon unterscheiden. Die Einsatzgebiete von Wearables in der Medizin sind unglaublich vielfältig und das Nachdenken über die Möglichkeiten hat gerade erst begonnen. Der stetige technische Fortschritt verschiebt außerdem die Grenzen des Machbaren fast täglich.