Ist das jetzt schon Medizin?

Der Markt der Gesundheits-Apps ist riesig und täglich kommen neue dazu. Aber wie ist erkennbar, ob eine App wirklich einen medizinischen Nutzen hat oder eher eine Wellness-Anwendung ist? Und wie steht es mit dem Datenschutz? Es gibt noch viele offene Fragen – deshalb hat das BMG eine umfangreiche Studie in Auftrag gegeben.

Nutzen ist schwer erkennbar
Gesundheit ist ein Zukunftsmarkt. Das haben auch die App-Entwickler längst erkannt. Rund 100.000 Apps aus dem Bereich der „Mobil Health“ (mHealth) gibt es, andere Auswertungen sprechen sogar von etwa 340.000 – und wöchentlich kommen über 1.000 neue Apps hinzu. Der Markt ist nicht nur unübersichtlich, sondern es gibt nur wenige Möglichkeiten, überhaupt zu erkennen, welchen Nutzen eine solche Anwendung überhaupt hat. Dazu kommt: Hat die App wirklich einen medizinischen Nutzen, ist sie rechtlich ein Medizinprodukt und müsste ein CE-Prüfsiegel tragen – was die wenigsten jedoch vorweisen können. Für das Bundesministerium Grund genug, die umfangreiche Studie „Chancen und Risiken von Gesundheits-Apps“ in Auftrag zu geben. Auf rund 400 Seiten stellen die Experten des „Peter L. Reichertz Institut für medizinische Informatik“, eines Exzellenz-Clusters der TU Braunschweig und der Medizinischen Hochschule Hannover, die unterschiedlichen Facetten des Themas mit allen relevanten Aspekten vor.

Ein schier unüberschaubares App-Angebot

Wegweiser im App-Dschungel
Unzweifelhaft ist, dass Apps und andere digitale Anwendungen die Gesundheit der Nutzer und die Gesundheitsversorgung im Allgemeinen maßgeblich verbessern können und es künftig noch viele Neuerungen geben wird. Ziel des Bundesministeriums ist, den Nutzen und die Transparenz solcher Anwendungen zu erhöhen und die Neuentwicklungen zu fördern. Dazu steht ein Innovationsfonds mit 300 Millionen Euro zur Verfügung. Die erste Frage ist: Wann ist eine App eine medizinische Anwendung mit diagnostischem oder therapeutischem Nutzen? Dann unterliegt sie auch dem Medizinproduktegesetz. Oder ist es eine reine „Wellness“-App, die darauf angelegt ist, die Gesundheit des Nutzers zu verbessern und zu stärken? Solche Apps können in der Prävention eine wichtige Rolle spielen. Die Studie empfiehlt, genauere Richtlinien zur Unterscheidung zu definieren. Weiterhin sollten Hersteller von medizinischen Apps dazu verpflichtet sein, bereits vor der Entwicklung eine Risikoanalyse etwa zur falschen Bedienung durchzuführen. Ein Beispiel: Eine App, die Hautkrebs mithilfe der Kamera erkennt, kann bei falscher Bedienung oder dem unbemerkten Ausfall der Technik eine Erkrankung ganz falsch bewerten. Die Konsequenzen wären dramatisch.

Gut, wenn die Kasse zahlt
Eine grundlegende Frage stelle sich bei Apps immer: Ist sie gut? Gemeint ist die Funktionalität, Effizienz, Kompatibilität, Barrierefreiheit oder Wartbarkeit. Aufgrund der Masse ist es nicht möglich, alle Apps zu überprüfen und zu bewerten. Die Experten empfehlen, dass die Hersteller sich etwa an die ISO-25xx-Normreihe halten und dies dokumentieren. Gleichzeitig sollten Prüfsiegel oder Bewertungsplattformen etabliert werden. Die Nutzer können dann Apps vertrauen, die von Herstellern kommen, die sich freiwillig an diese Normen halten oder sich haben zertifizieren lassen. Ein weiterer Aspekt, der gerade für gesetzliche Krankenkassen interessant ist, betrifft die Erstattung: Apps sollten bei erwiesenem Nutzen erstattungsfähig sein. Dies bedeutet, dass die Apps den vorgeschriebenen Prüfungen etwa durch das SGB oder den GBA unterliegen und qualitätsgesichert sind. Gleichzeitig würde dies dazu führen, dass digitale Anwendungen mit viel höherem Aufwand entwickelt werden könnten, da durch die Erstattung die spätere Refinanzierung gewährleistet wäre.

Die Standards einhalten

Viele Hersteller, unterschiedliche Datenschutzrichtlinien

Geht es in den Medien um mHealth, spielen vor allem zwei Aspekte immer die Hauptrolle: Datenschutz und Datensicherheit. Und in der Tat lauern hier einige Risiken. Nutzt man eine App eines deutschen oder auch europäischen Herstellers und werden die Daten auf Servern innerhalb der EU gespeichert, ist die rechtliche Lage klar definiert. Maßgebliche Regelwerke sind die Europäische Datenschutzlinie, das Bundesdatenschutzgesetz, das SGB X sowie das Telemediengesetz und Telekommunikationsgesetz. Außerhalb der EU diese Richtlinien durchzusetzen erscheint allerdings schwierig. Empfehlenswert wäre daher, dass die App-Store-Anbieter sich verpflichten, eine Prüfung auf die Einhaltung dieser Datenschutzstandards durchzuführen – oder ansonsten diese Apps nicht zum Download anbieten. Gleichzeitig sind hier auch die Nutzer gefordert, auf solche Standards zu achten. Dies berührt einen weiteren wichtigen Aspekt: Das eigenständige Bewerten von mHealth-Anwendungen erfordert eine gewisse Gesundheits- und Digitalkompetenz, die bisher in der Bevölkerung zu mangelhaft vorhanden ist. Hier sind der Gesetzgeber, Schulen und andere Einrichtungen gefordert, Maßnahmen zu unternehmen, um dies zu verbessern. Aber auch aufseiten der Ärzteschaft oder beim medizinischen oder therapeutischen Fachpersonal bestehen noch große Wissenslücken.

Stockender Verkehr auf der Datenautobahn

Der Nutzen der Anwendung muss im Vordergrund stehen

Ein weiteres Problem: Datenschutz oder -sicherheit und eine sinnvolle Anwendung von mHealth widersprechen sich in vieler Hinsicht. Sollen zum Beispiel persönliche diagnostische Daten zur Gesundheitsvorsorge sowie Kontrolle oder Überwachung von Erkrankungen wie etwa Diabetes gesammelt werden, können diese eben nicht anonymisiert werden. Und zur Kontrolle und Auswertung müssen sie auch an Dritte oder gar Vierte weitergegeben werden. Wichtig ist daher, klar und transparent zu dokumentieren und kommunizieren, was mit den Daten passiert und wer damit arbeitet. Nur durch Transparenz ist das Selbstbestimmungsrecht an den eigenen Daten gewährleistet. Die Studie definiert viele Aufgaben, die gelöst werden müssen, und stellt viele grundlegende Fragen, die gemeinsam von allen Akteuren diskutiert werden müssen. Zuallererst muss aber ein Problem gelöst werden, sonst kann mHealth überhaupt nicht flächendeckend funktionieren: Deutschland braucht endlich ein einheitliches und überall funktionierendes Hochgeschwindigkeitsdatennetz – und davon sind wir derzeit noch weit entfernt.