Auffahrt in Sicht

Alexander Beyer ist der neue Geschäftsführer der gematik – Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH. Im Interview spricht der 42-jährige Jurist über die Entwicklung der gematik, Ziele für 2016 und neue Aufgaben vom Gesetzgeber. Dabei spielen auch Smartphones und Tablets eine Rolle.

Sie waren der erste Angestellte der gematik. Was war seinerzeit die Motivation, bei der Organisation zu arbeiten?
Ich war einfach überzeugt von dem Thema. Ich habe 2004 beim AOK-Bundesverband in Bonn angefangen und bin direkt in das Vorgängerprojekt der gematik – protego.net – abgeordnet worden. In protego.net hatte sich seinerzeit die Selbstverwaltung formiert, nachdem sie 2003 den gesetzlichen Auftrag bekommen hatte, die elektronische Gesundheitskarte und die erforderliche Telematikinfrastruktur einzuführen.

Was ist aus dem Vorgängerprojekt geworden?
Nach sechs Monaten und einer ersten Lösungsarchitektur, die vom Bundesgesundheitsministerium abgelehnt wurde, stellte sich heraus, dass die Dimension des Vorhabens zu groß für eine Projektgesellschaft mit lediglich zeitlich abgestellten Mitarbeitern von Krankenkassen und Leistungserbringerorganisationen ist. Es musste in eine ordentliche Rechtsform gegossen werden. So wurde die gematik GmbH gegründet.

Alexander Beyer, Geschäftsführer bei der gematik

Wie ging es dann für Sie in der gematik weiter?
Da ich vom AOK-Bundesverband damals konkret für dieses Projekt eingestellt und in Vollzeit abgeordnet wurde, war ich nach dem Übergang in die gematik der erste Angestellte. Meine Aufgabengebiete blieben unverändert die rechtlichen Belange des Projektes und der Unternehmung.

Und jetzt stehen Sie an der Spitze der Organisation.
Ich bin dem Projekt seit mehr als zehn Jahren verbunden und habe ihm in guten wie in schlechten Zeiten die Treue gehalten. Als im Sommer eine interne Lösung für die Geschäftsführung gesucht und ich gefragt wurde, habe ich nicht wirklich lange überlegt, ob ich das tun sollte oder nicht.

Wie hat sich das Unternehmen im Laufe der Jahre verändert, was ist heute anders?
Wir haben 2009 schon einmal versucht, die Telematikinfrastruktur einzuführen. Dann kam das vom Bundesgesundheitsministerium verordnete Moratorium, ein Stopp im Projekt. Die Stimmung unter allen Beteiligten war weitestgehend am Boden. In den letzten drei bis vier Jahren wurden eine kompetente Mannschaft und ein gesundes Unternehmen mit professionellen Strukturen aufgebaut, um das Projekt in dieser Größenordnung aus sich heraus zum Erfolg zu bringen.

Ist das Arbeiten dadurch auch etwas einfacher geworden?
Natürlich führen wir weiterhin Diskussionen und es gibt unterschiedliche Meinungen, die wir aber auch brauchen, um das Projekt für alle auf lange Sicht tragfähig zu machen. Sicher wollen wir möglichst schnell sein, aber wir müssen dem Projekt auch die Zeit geben, um seiner Komplexität Herr zu werden. Seit vier Jahren arbeiten wir gemeinsam intensiv und sehr konsequent daran, dieses komplexe technische Projekt umzusetzen. Das ist aus meiner Sicht ein sehr gutes Zeichen.

Hat sich auch für die Träger des Projektes, die Spitzenverbände im Gesundheitswesen, etwas verändert?
Die einzelnen Gesellschafter übernehmen für ihre Aufgaben mehr Verantwortung, was in den Abstimmungen hilft. Früher war es so, dass die Geschäftsführung der gematik den Gesellschaftern eine Lösung und einen Zeitplan vorgeschlagen hat. Jetzt ist es ein gemeinsamer Vorschlag der Geschäftsführung der gematik und eines verantwortlichen Gesellschafters. Das erleichtert uns die Aufgabe auf politischer Ebene.

Wenn man die Aufgaben der gematik beschreiben würde …
Die gematik ist das Kompetenzzentrum für alle Themen rund um eGK und Telematikinfrastruktur. Sie erstellt Spezifikationen und trifft Festlegungen, wie sichere und interoperable Produkte bzw. Komponenten der TI auszusehen haben. Zudem ist sie verantwortlich für das Testen und Zulassen dieser Produkte sowie die Sicherstellung des Betriebs der TI.

Das eHealth-Gesetz bringt neue Aufgaben für die gematik.

Hat das E-Health-Gesetz die Aufgaben verändert?
Neu hinzugekommen ist der Aufbau eines Interoperabilitätsverzeichnisses bis Mitte 2017, um die Standardisierung von IT-Systemen im Gesundheitswesen voranzutreiben. Das heißt: Bei der gematik kann die Aufnahme in das Verzeichnis beantragt werden. Wir prüfen dann die Abhängigkeiten zur Telematikinfrastruktur und zu den Festlegungen, wir binden Fachexperten ein, ermöglichen der Fachöffentlichkeit, Stellung zu nehmen, und sprechen Empfehlungen aus, die anschließend für die Beteiligten des SGB V verbindlich werden.

Was war Ihr schönstes Erlebnis bei der gematik?
Das waren der Abschluss des Ausschreibungsverfahrens in 2013 und die Erteilung der Zuschläge. Vorausgegangen waren zwei arbeitsintensive Jahre, die nach dem veröffentlichten Zeitplan termintreu, ohne Probleme, Rügen oder Nachprüfungsverfahren mit dem Zuschlag endeten. Das ist bei solch einem umfangreichen Verfahren nicht selbstverständlich.

Das Gesamtvorhaben ist eine Herausforderung. Wenn Sie versuchen würden, es jemandem kompakt zu erklären: Womit könnte man die Aufgabe vergleichen?
Wir bauen eine bundesweite Datenautobahn im Gesundheitswesen, definieren ihre Leitplanken und schaffen sichere Auffahrten.

Menschen erfassen sportliche und gesundheitliche Aktivitäten heute in Apps. Wird man das perspektivisch mit dem eGK-Projekt verbinden können?
Insgesamt zeigt es uns, dass die Anbieter von Informations- und Kommunikationstechnologien den Gesundheitsmarkt für sich entdeckt haben und z. B. in Form von Apps an Patienten herantreten. Uns verdeutlicht das wiederum den hohen Bedarf und insbesondere die Bereitschaft der Patienten, ihre persönlichen Gesundheitsdaten digital zur Verfügung zu stellen und auszutauschen. Wir sehen das jedoch aus Sicherheits- und Datenschutzaspekten kritisch und verbinden das zunächst auch nicht mit unserem Projektauftrag.

Natürlich beschäftigen wir uns mit mobilen Endgeräten wie Smartphones und Tablets: Wie kann der Patient auf seine Daten der Gesundheitskarte mit diesen Geräten zugreifen? In einem der folgenden Schritte wäre zu prüfen, ob und wie die Gesundheitsdaten der Apps über die Telematikinfrastruktur verfügbar gemacht werden könnten.

Das Smartphone wird die eGK also nicht ersetzen können?
Zentral sind für uns die physische eGK und das Schlüsselmaterial auf der Karte. Sie erfüllen höchste Sicherheitsanforderungen. Wir schauen uns jetzt Konzepte an, wie eine Verbindung zwischen Karte und diesen Endgeräten hergestellt werden kann. Dann würde der Patient seine Daten einsehen können, z. B. die aus seinem Patientenfach.

Zentrales Element der sicheren Telematikinfrastruktur: die Gesundheitskarte.

Wie können Krankenkassen das Projekt unterstützen?
Wir erfahren heute in unserer täglichen Arbeit schon sehr viel Unterstützung von den Krankenkassen, was uns bestätigt und motiviert. Vor der Erprobung und vor dem Start des Produktivbetriebs wünschen wir uns verstärkte Unterstützung durch Kommunikationsmaßnahmen in Richtung der Patienten: Was kommt, was erwartet sie? Bislang verhielten sich die Kassen an dieser Stelle etwas zurückhaltend, da die Patienten nicht mit etwas konfrontiert werden sollten, was sich zeitlich noch mal verschiebt. Wenn der Rollout erfolgt ist und eine Vernetzung aller Beteiligten im Gesundheitswesen stattgefunden hat, dann brauchen wir aus den Kassen Ideen, welche Anwendungen noch auf die TI gebracht werden können, die unabhängig von der eGK sind. Da wollen wir eng mit den Kassen zusammenarbeiten, damit sie den größtmöglichen Nutzen aus der TI und der Vernetzung ziehen können. Da sind wir auf das Know-how angewiesen.

Was wird 2016 aus Sicht des Projektes passieren, wo liegen gerade die Arbeitsschwerpunkte?
Wir starten die Erprobung in zwei Regionen und werden die erforderlichen Maßnahmen für den bundesweiten Rollout durchführen. Insgesamt nehmen 250 Zahnarzt- und 750 Arztpraxen und 10 Krankenhäuser mit ihren gesetzlich versicherten Patienten an der Erprobung teil. Zunächst werden der Online-Abgleich der Versichertenstammdaten und die Anbindung von bestehenden Netzen wie dem sicheren Netz der KVen an die TI getestet. Danach kommt als Grundlage für medizinische Anwendungen – wie beispielsweise Notfalldatenmanagement und eMedikationsplan – der Basisdienst qualifizierte elektronische Signatur und sichere Verfahren zum Informationsaustausch zwischen Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten. Wir müssen die Nutzungsvoraussetzungen für die Anbindung weiterer Anwendungen definieren sowie mit dem Aufbau des Interoperabilitätsverzeichnisses beginnen, um noch einige weitere wichtige Aufgaben für dieses Jahr zu benennen.

Datenautobahn mit sicheren Auffahrten

Wenn Sie einen Wunsch für 2016 in Bezug auf das Projekt hätten: Welcher wäre das?
Dass wir die in uns gesetzten Erwartungen der Gesellschafter und des Gesetzgebers erfüllen, die Erprobung starten und den bundesweiten Rollout beginnen können.

Wenn wir 5 Jahre in die Zukunft blicken, dann …
… ist das Gesundheitswesen vernetzt, alle Beteiligten sind an die TI angebunden. Neben den gesetzlichen Anwendungen der eGK wie dem Online-Abgleich der Versichertenstammdaten, Notfalldaten-Management, eMedikationsplan, ePatientenakte und ePatientenfach sowie dem sicheren Verfahren zur Übermittlung elektronischer Dokumente haben wir viele weitere Anwendungen auf der Infrastruktur, die allen Beteiligten Nutzen bringen. Keiner wird sich mehr vorstellen können, wie es ohne eine sichere Telematikinfrastruktur einmal war. Und die gematik hat sich als Kompetenzzentrum für neue Anwendungen der TI etabliert.

Komplexe Aufgabe mit vielen Beteiligten

Zur Person
Der studierte Volljurist und Rechtsanwalt, Jahrgang 1973, ist seit 1. Juli 2015 Geschäftsführer der gematik GmbH. Zuvor leitete er dort zehn Jahre lang den Bereich Recht. Während dieser Zeit verantwortete er unter anderem die europaweiten Ausschreibungen zum sogenannten Online-Rollout (Stufe1) sowie die dazugehörigen Verhandlungen mit der Industrie. Der gebürtig aus Hamburg stammende Jurist war bereits im Vorgängerprojekt protegno.net tätig. Neben seinem Staatsexamen hat er einen Master of Law in Rechtsinformatik und einen Master of Arts in Ökonomie & Management.