Ein digitaler Crashkurs

Prof. Dr. Elisabeth Heinemann
Elisabeth Heinemann ist Wissenschaftlerin und Wissenskabarettistin. Ihr Thema ist dabei stets die Digitalisierung. Die Digitaloptimistin ist kein Digital Native, aber eine Homo Digitalis aus Überzeugung. Sie ist sich sicher, dass die Digitalisierung durch die Corona-Krise einen kräftigen Schub bekommt, weil viele Menschen gezwungenermaßen jetzt die Vorteile und Stärken dieser technischen Revolution kennen und schätzen lernen.
 
Krisen waren in der Menschheitsgeschichte schon immer auch Beschleuniger für Veränderungen. Wenn es einen Gewinner in der Corona-Krise gibt, ist es die Digitalisierung?
Absolut, denn sehr viele Menschen und Branchen machen gerade einen Crashkurs in Sachen Digitalisierung. Sie nutzen jetzt Möglichkeiten, die schon da waren, oder entwickeln schnell neue Geschäftsmodelle, um zu überleben.
 
Und wird man das nach der Krise wieder vergessen?
Es kommt darauf an, welchen Mehrwert es gebracht hat.
 
Und warum geht das auf einmal?
Wenn der Leidensdruck am größten ist, dann ist man bereit, auch mal aus der Komfortzone rauszugehen. Dann bin ich auch mit 70 plus willens, etwas gut zu finden, was ich vorher vielleicht verdammt und verteufelt habe, wie etwa ein Tablet und Videotelefonie.
 
Gerade soziale Medien waren in der Vergangenheit häufig in der Kritik als Zeitverschwendung. Jetzt entfalten sie ihr großes Potenzial.
 
Durch soziale Medien vernetzt bleiben
Absolut. Jetzt werden alle Lügen gestraft, die diese Medien verteufelt haben und als Monokommunikationsmittel zur Selbstbeweihräucherung abgetan haben. Aber soziale Kommunikation ist Kommunikation. Ob die über Facebook, Instagram und Co. abläuft oder wie auch immer. Menschen auf der ganzen Welt können so miteinander kommunizieren. Und es hält aktuell diverse Branchen zumindest mental aufrecht. Viele Künstler sorgen zum Beispiel mit Livestreaming dafür, dass ihr Publikum sie nicht vergisst und auch sie selbst zumindest ein Stück weit das tun können, was sie am liebsten tun: unterhalten.
 
Beruflich und privat: Jeder nutzt jetzt Videokonferenzen. Wird das unsere Kommunikation nachhaltig verändern?
Ich hoffe, dass es dort, wo es Sinn macht, zur Routine wird. Online-Meetings sparen Zeit und schonen die Umwelt. Und wer die Vorzüge von „Ich höre mein Enkelkind nicht nur, sondern ich sehe es auch“ entdeckt hat, der wird es sicherlich nicht wieder aufgeben.
 
Überraschend, wie schnell viele Unternehmen ins Homeoffice gewechselt sind, obwohl das bisher aus vielen Gründen nie möglich war.
Ja, und das macht mich echt sauer. Eine Bekannte, alleinerziehende Mutter mit zwei Kindern, eine hoch kompetente Frau, hat vor der Krise bei diversen großen Unternehmen eine Stelle mit einem Anteil Homeoffice gesucht – und viele Absagen bekommen. Das wäre strategisch nicht so vorgesehen. Dann kam Corona und auf einmal ging es. Das lässt die zuvor gegebene Absage an meine Bekannte in keinem guten Licht erscheinen.
 
Um es positiv zu sehen: Durch die Krise konnte die Digitalisierung ihre Stärken ausspielen?
 
Bietet Chancen in der Krise: die Digitalisierung
Absolut. Viele, die der technischen Entwicklung eher kritisch gegenüberstanden, haben nun ihre Vorteile kennengelernt – sei es, mit dem Enkelkind zu chatten oder mit ihrem Geschäft weiter Geld zu verdienen. Und es ist erstaunlich, welch ein kreatives Potenzial sich entfaltet hat und wie man sich gegenseitig inspiriert. Wie etwa mithilfe von sozialen Netzwerken ganz neue Geschäftsmodelle gerade in der Gastronomie aufgebaut wurden. Von der Hipster-Bar zum via Instagram boomenden Catering-Service.
 
Die Krise zeigt aber auch deutlich, wo die Digitalisierung noch ganz am Anfang ist oder wo noch ganz erhebliche Probleme bestehen. Stichwort Schule.
Bei uns an der Hochschule funktioniert es hervorragend. Als Fachbereich Informatik waren wir natürlich schon vorher sehr gut aufgestellt. Aber auch wir sind ins kalte Wasser gestoßen worden. Und in der ersten Testwoche ist dann auch erst mal vieles an Technik zusammengebrochen, was für die Onlinelehre in Betracht gekommen wäre. Aber mit vereinten Kräften haben wir – Lehrende, Administration und nicht zuletzt unsere Studis – das sehr gut hinbekommen. Das Sommersemester 2020 wird auf jeden Fall kein verlorenes sein.
 
Aber gerade in den Schulen zeigt sich doch, dass die für so einen Notfall überhaupt nicht vorbereitet waren.
Ja, aber das war nicht überraschend und ich sage es seit Jahren. Wir verlangen von Lehrern, Digitalisierung zu lehren und anzuwenden, obwohl sie das selbst nie gelernt haben. Zum Beispiel wird in den Schulen seit Jahren digitale Bildung konsequent durcheinandergebracht. Bildung digital bedeutet Goethe auf dem iPad zu lesen. Digitale Bildung hingegen versetzt die Schülerinnen und Schüler in die Lage, mit digitalen Medien souverän und verantwortungsvoll umzugehen, das Prinzip des Programmierens zu verstehen, was vor allem gleichbedeutend mit Sprachverständnis und Logik ist.
 
Das Virus ist ja zuallererst eine Bedrohung für unsere Gesundheit. Das Gesundheitswesen ist hier also ganz besonders gefordert. Auch hier zeigt sich, dass die Digitalisierung bei der Bekämpfung eine ziemlich starke Waffe sein kann.
Nicht kann, sie ist es. Gerade die Kollaboration unter Forschern jedweder Fachrichtung und Pharmaherstellern ist sehr wichtig und so nur mit digitaler Vernetzung möglich. Die Digitalisierung ist also ganz wichtig in diesem Kampf.
 
Wie stehen Sie denn zur Tracing-App?
Wenn gewährleistet ist, dass die Daten anonymisiert weitergegeben werden, bin ich ein Befürworter. Ich würde sie benutzen.
 
Wie groß schätzen Sie die Schubkraft der Krise für die Digitalisierung im Allgemeinen ein?
Wenn wir uns jetzt klar eingestehen, was alles hätte besser laufen können, wären wir in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen ebenso wie in Sachen Infrastruktur besser aufgestellt gewesen, als die Pandemie über uns hereinbrach, dann kann die Antwort auf diese Frage nur sein: sehr groß.
 
Und was ist für Sie, bezogen auf die Digitalisierung, die wichtigste Erkenntnis aus dieser Krise?
Dass es geht, wenn man muss. Und was im Moment an Digitalisierung geht, ist höchst erstaunlich.
 
Zur Person
 
Homo Digitalis. Prof. Dr. Elisabeth Heinemann bezeichnet sich selbst als Digitaloptimistin. Sie ist Wissenschaftlerin, Rednerin und Wissenskabarettistin. Ihr Thema ist die Digitalisierung mit Fokus auf den „Faktor Mensch“. Nach dem Studium der Wirtschaftsinformatik an der TU Darmstadt arbeitete sie zunächst als IT-Consultant, bevor sie sich im Jahr 2000 als Trainerin, Coach und Keynote-Speakerin selbstständig machte und einige Jahre später promovierte. Seit 2007 ist sie Informatikprofessorin an der Hochschule Worms und leitet dort den Master-Studiengang Mobile Computing (M. Sc.). Die IT-Expertin war sechs Jahre lang Präsidiumsmitglied der Gesellschaft für Informatik und für vier Jahre Aufsichtsrätin eines SAP-Dienstleisters. Aktuell ist sie Kuratorin der Bildungsstiftung „Stufen zum Erfolg“ und ist Gastgeberin von „Digitalgeflüster, dem Podcast zur Digitalisierung in Hochschule, Unternehmen und dazwischen“.