Der digitale Weg wird kein leichter sein
Mit dem neu geschaffenen Bundesministerium für Digitales und Staatsmodernisierung verfügt die rot-schwarze Bundesregierung erstmals über ein zentrales Ressort, das sich ausschließlich der Digitalisierung und Modernisierung unseres Landes widmet. Verschiedene Studien belegen eindrucksvoll, dass in dieser Hinsicht tatsächlich erheblicher Nachholbedarf besteht – von der digitalen Kompetenz des Staates und seiner Bevölkerung bis hin zur Nutzungsrate des elektronischen Personalausweises.
Beginnen wir mit einer positiven Nachricht: Deutschland hat sich laut Bitkom, dem Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche, bei der Digitalisierung im EU-Vergleich verbessert. Die Bundesrepublik belegt unter den 27 Mitgliedstaaten demzufolge aktuell den 14. Platz – nach Rang 16 im Vorjahr. Die übrigen Ergebnisse des kürzlich veröffentlichten Bitkom-DESI-Index – dieser vergleicht den Digitalisierungsfortschritt der EU-Länder – fallen indes ernüchternd aus. So reiht sich Deutschland beispielsweise im Hinblick auf die Nutzung der digitalen Infrastruktur nur auf Platz 19 ein: Obwohl rund 78 Prozent der Haushalte rein technisch ein Gigabit-Anschluss mit mindestens 1000 Mbit/s zur Verfügung steht, wird dieses Angebot von nur sechs Prozent tatsächlich gebucht. Die digitale Verwaltung wiederum findet sich im EU-weiten Teilnehmerfeld mit Platz 21 sogar noch weiter hinten wieder.
Neuer DESI-Index
Zum Hintergrund: Seit 2014 sammelt die EU-Kommission umfassende Daten zur Digitalisierung ihrer Mitgliedsländer, veröffentlicht aber seit 2023 kein sogenanntes DESI-Ranking mehr. Dabei steht DESI für „Digital Economy and Society Index“. Seit 2023 werden von der EU nur noch Rankings zu 31 Einzelindikatoren publiziert – zum Beispiel zu digitalen Basiskompetenzen in der Gesellschaft, der Netzabdeckung mit 5G oder dem Angebot digitaler Verwaltungsleistungen. Bitkom hat dieses Indikatorenset der EU im Großen und Ganzen übernommen und auf Basis der etablierten EU-Methodik inzwischen den eigenen Bitkom-DESI-Index gebildet. Demnach liegt Finnland im Gesamtranking auf Platz 1, dahinter folgen Dänemark, die Niederlande, Malta und Schweden. Das Schlusslicht bilden – mit deutlichem Abstand auf die restlichen Länder – Bulgarien, Griechenland und, weit abgeschlagen, Rumänien.
Digitale Kompetenz unzureichend
Im Bereich „Digitale Kompetenzen“ belegt Deutschland im EU-Vergleich Platz 15. Demnach können rund 20 Prozent der Bürger:innen überdurchschnittlich gut mit Hardware, Software oder digitalen Anwendungen umgehen. Dieser vergleichsweise niedrige Wert – er liegt im EU-Durchschnitt acht Prozentpunkte höher – spiegelt sich unter anderem auch in einer repräsentativen Umfrage vom Oktober 2024 wider, veröffentlicht im „eGoverment Monitor 2024“ der Initiative D21 und der Technischen Universität München. Daraus geht hervor, dass bislang lediglich 34 Prozent der erwachsenen Wohnbevölkerung die elektronische Ausweisfunktion (eID) ihres deutschen Personalausweises aktiviert haben. Die eID ermöglicht es Bürgerinnen und Bürgern, sicher am digitalen Geschäftsverkehr sowie an digitalen Verwaltungsdiensten teilzunehmen. Sechs Prozent der Befragten hierzulande ist diese Funktion laut Umfrage sogar völlig unbekannt.
Aktive Mitarbeit gefordert
Als Problem entpuppt sich in diesem Zusammenhang nicht zuletzt der Umstand, dass die elektronische Funktion des Personalausweises ein aktives Freischalten des Ausweisinhabers mithilfe einer Transport-PIN, der Transport Personal Identity Number, erfordert. Diese muss anschließend in eine spezielle App eingegeben werden, für die es wiederum eine persönliche PIN festzulegen gilt. Ursprünglich konnte man die Transport-PIN per Brief erhalten, von den rund zwei Millionen verschickten Transport-PINs wurden bislang jedoch nur 60 Prozent tatsächlich zum Aktivieren der eID genutzt. Nachdem der Postversand aus Kostengründen Ende 2023 eingestellt wurde, ist für die Aktivierung jetzt ein persönlicher Termin in einer öffentlichen Verwaltungseinrichtung nötig. Kein Wunder also, so scheint es, dass die Nutzungsraten des elektronischen Personalausweises 15 Jahre nach seiner Einführung nach wie vor hinter den Erwartungen zurückbleiben.
Nutzen fehlt oft
Laut dem „eGoverment Monitor 2024“ liegt der Anteil der Personalausweis-Inhaber:innen, welche die Online-Funktion des Dokuments nach der Freischaltung tatsächlich nutzen, derzeit bei nur 22 Prozent. Anders ausgedrückt: Drei von vier Personen verwenden den Online-Ausweis bisher überhaupt nicht. „Zu oft fehlen Nutzen und alltagsrelevante Anwendungsmöglichkeiten; außerdem erscheint vielen die Einrichtung der Online-Funktion zu kompliziert oder sie wissen gar nicht, wie das geht. Trotz eines deutlichen Anstiegs der Nutzung ist der Online-Ausweis aktuell noch weit davon entfernt, eine zentrale Schlüsselfunktion für E-Government zu übernehmen“, so eine der Schlussfolgerungen der Studie.
Aus dieser geht zudem hervor, dass sich etwa die Hälfte der Befragten eine zentrale Plattform wünschen würde, welche alle digitalen Verwaltungsdienste bündelt. Dahinter steht das Bedürfnis nach einer besseren Auffindbarkeit digitaler Dienste: 42 Prozent der Bürger:innen sagen, dass sie nicht wissen, ob ein bestimmtes Angebot online verfügbar ist. 38 Prozent wiederum haben Schwierigkeiten, sich auf den entsprechenden Websites zurechtzufinden, und zwei Drittel der Befragten möchten lieber aktiv vom Staat informiert werden, anstatt selbst nach Informationen suchen zu müssen.
Dänemark ist Vorreiter
Deutlich besser ist in dieser Hinsicht beispielsweise Dänemark als einer der „digitalen Vorreiter“ aufgestellt. Alle wichtigen öffentlichen Dienstleistungen, die digitalisiert werden können, werden hier online über das „MitID“-System für Privatpersonen beziehungsweise das „MitID erhverv“-System für Unternehmen bereitgehalten. Auf diese können alle Personen und Unternehmen in Dänemark zugreifen. Die digitale Palette umfasst dabei aber nicht nur Dutzende öffentliche Dienstleistungen, sondern auch über 700 Serviceangebote von Banken, Versicherungsgesellschaften und anderen privaten Unternehmen. Mithilfe der genannten Plattformen kann jede Person und jedes Unternehmen die einheitliche ID-Lösung auf ihren jeweiligen Endgeräten nutzen.
Zu viele digitale Zweifler
Die geringe Nutzungsrate der eID hierzulande ist indes keineswegs ein Einzelfall. Auch für andere digitale Dienste werden hierzulande Nutzungsraten von weniger als 50 Prozent registriert. Neben technischen Hürden und dem oft geäußerten Bedürfnis nach persönlicher Beratung, die in den entsprechenden Umfragen immer wieder erwähnt werden, kommt auch „digitalen Zweiflern“ eine gewisse Bedeutung zu: Rund 30 Prozent der erwachsenen deutschen Bevölkerung sind einer Online-Umfrage zufolge „Bürger, die staatliche digitale Technologien klar ablehnen“. Für sie und ihren Alltag spielen Aspekte wie Datenschutzbedenken, staatliche Überwachung sowie eine allgemeine Ablehnung der Digitalisierung im öffentlichen Bereich eine wesentliche Rolle. Zum Vergleich: In den USA und dem Vereinigten Königreich beträgt der Anteil „digitaler Zweifler“ lediglich 20 Prozent, in China – kaum überraschend – sogar nur zehn Prozent.
Verwaltung ist der Schwachpunkt
Dass Deutschland beim Bitkom-DESI-Index, wie eingangs erwähnt, in der Kategorie „Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung“ nur Platz 21 von 27 belegt, mag die „digitalen Zweifler“ nicht stören. Den in dieser Hinsicht aufgeschlosseneren Teilen der Bevölkerung dürften die entsprechenden Zahlen jedoch wohl noch einige Zeit lang digitale Kopfschmerzen bereiten. Denn die EU-Daten zeigen über fast alle Indikatoren hinweg für die Digitalisierung der deutschen Behörden unterdurchschnittliche Werte. So sind beispielsweise lediglich 38 Prozent der Formulare mit bereits bekannten Daten der öffentlichen Verwaltung vorausgefüllt – im EU-Durchschnitt liegt dieser Wert bei 71 Prozent. Und auch die Nutzung digitaler Verwaltungsdienstleistungen rangiert mit 64 Prozent mehr als zehn Prozentpunkte unter dem EU-weiten Schnitt.
Digitalisierung ist eine Gemeinschaftsaufgabe
„Deutschland sollte seine Bemühungen zur Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen beschleunigen“, heißt es daher im „Digital Decade Country Report 2023“ der EU: „Insbesondere sollte es Maßnahmen ergreifen, um die Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den verschiedenen Verwaltungsebenen weiter zu stärken und so die Interoperabilität, Effektivität und Verfügbarkeit von Online-Dienstleistungen der öffentlichen Hand weiter zu verbessern.“ Darüber hinaus, fordert der EU-Report, solle Deutschland geplante Maßnahmen zügig umsetzen und die Digitalisierung der gesamten Dienstleistungskette für öffentliche Dienstleistungen beschleunigen. „Digitalisierung kann nur gelingen, wenn sie als Gemeinschaftsaufgabe verstanden wird“, resümiert Bitkom-Präsident Ralf Wintererst in diesem Zusammenhang: „Dabei geht es nicht in erster Linie darum, Rankings zu gewinnen – es geht um ein digital souveränes, effizientes und resilientes Deutschland.“