Nachrichten aus dem Kuhstall

Die Welt ist längst digital. Wirtschaft und Politik sind jetzt gefordert, nicht den Anschluss zu verlieren. Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom, spricht über seltene Wesen auf den Firmenfluren, warum digitaler Wandel Chefsache sein muss und deutsche Unternehmen weiterhin Faxe verschicken.

In deutschen Unternehmen lebt ein seltenes Wesen: der Chief Digital Officer. Haben Sie schon mal einen zu Gesicht bekommen?
Leider nur sehr selten. In einer Bitkom-Umfrage haben nur zwei Prozent der Unternehmen ab 500 Beschäftigten angegeben, einen Chief Digital Officer (CDO) zu haben. Bei kleineren Unternehmen ist diese Funktion überhaupt nicht vorhanden. Positive Ausnahmen unter den großen Unternehmen sind in Deutschland Bayer, die Deutsche Bank, TUI, ProSiebenSat.1, Gruner + Jahr oder Media-Saturn.

Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom

Warum ist dieses Berufsbild symptomatisch für die Versäumnisse bei der Digitalisierung?
Ein CDO ist nicht zwingend erforderlich, um die Digitalisierung in einer Organisation voranzutreiben. In vielen Fällen ist die Geschäftsleitung selbst verantwortlich. Aber die Schaffung eines CDO-Postens setzt ein Zeichen nach innen und außen, dass die Digitalisierung ein zentrales Thema ist. Dann muss die Position auch ausgefüllt werden.

Viele Unternehmen verfügen über digitale Experten – aber wie steht es um das digitale Verständnis in der Führungsebene?
Im Idealfall verfügen Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder oder Inhaber über ausreichende Digitalkompetenzen. Solange das nicht der Fall ist, brauchen sie einen Sparringspartner mit Digital-Know-how. Das umfasst neben originären IT-Kompetenzen auch Kenntnisse darüber, wie digitale Geschäftsmodelle funktionieren. Der Anstoß muss aber aus der Geschäftsleitung kommen.

Digitales Denken ist auch eine Generationensache: Haben die Digital Natives noch nicht die Führungspositionen erreicht?
Nur bei Start-ups, ansonsten nicht. Wir haben in Deutschland sehr viele Unternehmen, die auf ihren Märkten technologisch zur absoluten Weltspitze gehören und wirtschaftlich sehr erfolgreich sind. Da ist es nicht so leicht, völlig neu zu denken – und hier stoßen sich oft die Digital Natives.

Warum muss Digitalisierung Chefsache sein?
Die digitale Transformation setzt schwierige Veränderungsprozesse in Gang und erfordert Risikobereitschaft. Etablierte Unternehmen investieren zum Beispiel in neue Geschäftsmodelle, ohne dass dabei sofort hohe Umsätze oder gar Gewinne generiert werden. Man braucht also einen langen Atem. Wenn dann der Rückhalt aus der Geschäftsleitung fehlt, wird es beim ersten Gegenwind schwierig.

In sozialen Medien ist es längst ein Synonym für Rückständigkeit: das Fax. In Firmen ist es immer noch ein beliebtes Dokumententransportmittel. Was sagt uns das?
Vor allem, dass vieles länger dauert, als man denkt. Man trennt sich eben sehr ungern von Prozessen, die seit Jahren gut funktionieren. Man darf aber auch nicht vergessen, dass man unterschiedliche Kommunikationswege vorhalten muss, um niemanden zu verlieren.

Quelle: Bitkom Research

Was muss sich schnell ändern, damit deutsche Firmen nicht den Anschluss verlieren?
Unternehmen müssen es wagen, ihre Geschäftsmodelle vor dem Hintergrund der Digitalisierung ganz grundsätzlich zu überprüfen und gegebenenfalls radikal zu verändern. In vielen Fällen bieten zum Beispiel digitale Plattformen oder Datenanalysen Chancen für ganz neue Geschäftsmodelle. Damit lassen sich neue Kundengruppen, neue Marktanteile und neue Umsätze generieren.

Und wo sind die Firmen schon ziemlich gut?
Darin, Bestehendes mit digitalen Technologien zu optimieren – das war schon immer eine Stärke der deutschen Wirtschaft. Inkrementelle Innovationen, das können wir. In der Industrie werden zum Beispiel vernetzte Systeme zur vorausschauenden Wartung von Maschinen eingesetzt. Diese erkennen frühzeitig, wenn ein Ausfall droht, und bestellen idealerweise gleich selbstständig die nötigen Ersatzteile zu den günstigsten Konditionen am Markt. Geht es aber um disruptive Innovationen, also etwa die Plattformökonomie oder datengetriebene Geschäftsmodelle, sind andere oft etwas schneller als wir.

Wie profitieren Unternehmen vom digitalen Wandel?
Es gibt keine Branche, die nicht vom digitalen Wandel profitiert – ob nun Luftfahrt, Handel, Logistik oder Tourismus. Ein sehr anschauliches Beispiel ist die Landwirtschaft: Auf dem Bauernhof 4.0 ermitteln Sensoren exakt die Bodenqualität, sodass Landmaschinen die Saat sowie Düngemittel punktgenau ausbringen können. Und die Ernte wird mit einem Hightech-Mähdrescher, der satellitengesteuert übers Feld navigiert, eingebracht. Nicht zu vergessen, das schöne Beispiel von der Kuh, die eine Kurznachricht verschickt, bevor das Kalb kommt.

Heute schon Realität: Status Kuh.

Jetzt sind nicht nur die Firmen gefordert, sondern natürlich auch die Politik, um die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wo sehen Sie dringend Nachholbedarf?
Auch die Politik muss ihren Beitrag für eine zukunftsfähige digitale Wirtschaft und Gesellschaft leisten. Zum Beispiel muss Breitband dort gefördert werden, wo sich der Ausbau wirtschaftlich nicht lohnt. Das Förderprogramm, das der Bund im vergangenen Jahr aufgelegt hat, ist ein sehr guter Anfang. Aber wir müssen dranbleiben, denn das derzeitige Ziel der Bundesregierung – flächendeckend 50 Mbit pro Sekunde im Jahr 2018 – ist nur eine Etappe auf dem Weg in die Gigabit-Gesellschaft. Oder nehmen wir den Verkehr: Selbstfahrende Autos können die Zahl der Unfälle und der Unfalltoten deutlich senken, Staus vermeiden und Ressourcen schonen. Damit sie tatsächlich auf die deutschen Straßen kommen, müssen aber noch viele rechtliche Fragen geklärt werden. Hier ist der Gesetzgeber gefordert.

Welche digitalen Trends werden die Arbeitswelt in den nächsten Jahren maßgeblich verändern?
Die Digitalisierung verändert die Arbeit fundamental. Arbeit wird tendenziell anspruchsvoller, abwechslungsreicher, verantwortungsvoller. Einzelne Tätigkeiten werden verschwinden, aber es entstehen auch völlig neue Berufsbilder. Und hierfür brauchen wir gut ausgebildete Fachkräfte. Der Umgang mit digitalen Anwendungen muss selbstverständlich sein. Dafür müssen wir jetzt den Grundstein legen mit der fächerübergreifenden Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule und mit einem Pflichtfach Informatik ab der Sekundarstufe I. Und nicht zuletzt müssen wir das Digitale in der Berufsbildung stärken. Wir müssen das Schlagwort vom lebenslangen Lernen tatsächlich mit Leben füllen.

Welche Entwicklungen sehen Sie im Gesundheitswesen und auf die gesetzliche Krankenkassenlandschaft zukommen?
Digitale Anwendungen wie Apps, Big-Data-Analysen oder 3-D-Druck werden Medizin und Gesundheitswesen revolutionieren. Die Datenauswertung wird es uns zum Beispiel ermöglichen, passgenaue Medikamente für krebskranke Menschen zu entwickeln.

Schnell Daten für die individuelle Versorgung zur Hand zu haben gewinnt stetig an Bedeutung

Ein Megatrend ist natürlich auch die Telemedizin: Künftig werden chronisch kranke Menschen nicht mehr ständig lange Wege in die Praxis zurücklegen müssen, um ihre Werte checken zu lassen, sondern können das bequem von zu Hause aus erledigen und dem Arzt die Ergebnisse übermitteln. Versicherungen wiederum erhalten ganz neue und auch preiswerte Möglichkeiten, ihren Kunden beim Gesundwerden und vor allem auch beim Gesundbleiben zu helfen.

Und wie wird die Wirtschaft in Deutschland im Jahre 2025 aussehen?
Digital und vernetzt – und damit sicher sehr erfolgreich.

Zur Person
Dr. Bernhard Rohleder hat Bitkom Ende 1999 mit aus der Taufe gehoben und ist seitdem Hauptgeschäftsführer des Verbands.

Dr. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer der Bitkom

Seine berufliche Laufbahn begann er mit Stationen bei ZF Friedrichshafen in Saarbrücken, dem Presseverlag Ploetz in Berlin und dem brandenburgischen Wirtschaftsministerium in Potsdam. 1994 kam er als Pressesprecher und Assistent der Geschäftsführung zum Fachverband Informationstechnik im VDMA und ZVEI. Drei Jahre später übernahm Rohleder dort die Position des stellvertretenden Geschäftsführers und kurz darauf jene des Geschäftsführers. 1997 wurde er parallel zum Generalsekretär der Eurobit, des europäischen Spitzenverbandes der IT-Branche mit Sitz in Brüssel und Frankfurt, berufen. Er fusionierte Eurobit im Jahr 2000 mit dem europäischen Verband der kommunikationstechnischen Industrie zur neuen Spitzenorganisation Digital Europe und vertrat die deutsche Hightechbranche anschließend im dortigen Vorstand. Daneben führte Rohleder 1997 und 1998 turnusgemäß das Generalsekretariat des Weltverbandes der IT-Industrie – des International Information Industry Congress (IIIC). Von 1997 bis 2005 leitete er zudem als Geschäftsführer das Marktforschungsinstitut European Information Technology Observatory (EITO).

Zur Organisation
Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (Bitkom) ist der Branchenverband der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche. Er wurde 1999 als Zusammenschluss einzelner Branchenverbände in Berlin gegründet und vertritt heute mehr als 2.300 Unternehmen der digitalen Wirtschaft, unter ihnen 1.000 Mittelständler, 300 Start-ups und nahezu alle Global Player. Diese bieten Software, IT-Services, Telekommunikations- oder Internetdienste an, stellen Hardware oder Consumer Electronics her, sind im Bereich der digitalen Medien oder der Netzwirtschaft tätig oder in anderer Weise Teil der digitalen Wirtschaft.